Gordischer Knubbel

Trotz Protestaktionen und Besetzung wird auf dem Gelände des ehemaligen Josef-Haubrich-Forums ein neuer Museumskomplex entstehen. Über eine städtebauliche Lösung, die nur wenige verhindern wollten – mit der aber niemand wirklich glücklich ist.

 

Eine Installation aus dem schnöden Alltag, gemacht wie von Künstlerhand: Anfang Oktober baumelt am verwaisten Galeriengebäude an der Cäcilienstraße das weiße »ö« der Neonschrift »Kölnischer Kunstverein« demonstrativ nach unten. Das Ganze wirkt schlaff und abgerockt – wie auch das große schlabberige Plastiktransparent nebenan, das schlabberig auf den vollzogenen Umzug ins ehemalige British Council verweist. Hinter den großen Fenstern verrichten Bauarbeiter ihr Tagwerk. Trennwände werden herausgehauen, Bauschutt und Metallteile für den Abtransport sortiert. Eine Ecke weiter versperrt ein grauer Bauzaun den Blick auf die Kunsthalle und das flache Forum der Volkshochschule. Endzeitstimmung liegt über dem legendären Kunst-Ensemble der Spätsechziger.
Ziemlich genau sechs Jahre nach Abschluss des Architekten-Wettbewerbs für einen Neubau am Neumarkt werden erstmals Fakten geschaffen. Ab 2006 sollen das Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM), die Kunsthalle, der Kunstverein, der städtische Museumsdienst und Teile der Volkshochschule (VHS) gemeinsam einen multifunktionalen Kulturklotz bespielen. Erster Schritt: die so genannte Entkernung, mit der das umstrittene 60-Millionen-Euro-Projekt in seine Realisierungsphase eintritt. Nun waren bekanntlich nach ellenlangen Querelen – über die grundsätzliche Raumaufteilung, die ursprünglich mal geplante »Einkellerung« des Kunstvereins und die Förderungsgelder des Landes NRW – alle Beteiligten irgendwie halb zufrieden, als im Februar 2002 eine Protestbewegung auf den Plan trat, die zu diesem späten Zeitpunkt niemand auf der Rechnung hatte – immerhin war bereits im Sommer 2001 der definitive Ratsbeschluss zur Realisierung des Entwurfs erfolgt. Eine illustre Schar um die Kölner Großkünstlerin Rosemarie Trockel stellte das Neubauprojekt unter reger Anteilnahme auch der überregionalen Medien grundsätzlich in Frage (siehe StadtRevue 7/02).

»Hinter den Kulissen bemühten sich die kölnischen Würdenträger trotzdem darum, die Wogen zu glätten«

Zentrale Forderung der Art-Rebellen ist der Erhalt der Josef-Haubrich-Kunsthalle. Eine Forderung, die angesichts des mühsamen Planungsprozesses und der mittlerweile gesicherten Finanzierung von städtischer Seite ins Reich von Spinnkram und Utopie verwiesen wurde. Hinter den Kulissen bemühten sich die kölnischen Würdenträger trotzdem darum, die Wogen zu glätten. Schließlich wollte man keinen Ärger mit der etablierten Kunstszene. Auch die NRW-Minister Michael Vesper (Bauwesen, Sport und Kultur) und Ministerpräsident Clement übten sich in Geheimdiplomatie. In der Sache blieben die Verantwortlichen jedoch hart: Das RJM als einziges Völkerkundemuseum zwischen Rhein und Weser braucht eine neue Heimat, und die soll es in dreieinhalb Jahren zwischen Zentralbibliothek und Cäcilienkirche finden. Integriert in ein »Haus der Kulturen und der Kunst«, wie ein 100-Quadratmeter großes Werbebanner an der Außenfassade der VHS verkündet.
Die Positionen sind verhärtet. Während die Pro-Haubrich-Fraktion in ihrer Streitschrift den neuen »Mega-Multi-Museumskomplex« auf ein Level mit der überdimensionierten Skandal-Müllverbrennungsanlage in Niehl hebt, schwärmen seine Befürworter vom künftigen Dialog ganz verschiedener Kultursparten. Albert Oehlen (Kunstverein) trifft auf Schrumpfköpfe aus Papua-Neuguinea (RJM) trifft auf flämische Tafelbilder (Museum Schnütgen) trifft auf »Hundert Jahre Gebaute Vision« (Kunsthalle). Auch die städtebauliche Dimension wird höchst unterschiedlich bewertet. Werner Strodthoff vom Kölner StadtAnzeiger beschwor in seinem Artikel zum Wettbewerbsgewinn 1996 ein kommendes »Kraftzentrum am Kölner Neumarkt«. Holger Liebs erfreute sich in der Süddeutschen Zeitung an den von Hand gebrannten ostfriesischen Ziegelsteinen für die Außenhaut des Gebäudes. »Solidität statt Glamour und Raffinesse« lautete sein damaliges Fazit. Die Gegner ziehen stattdessen Parallelen zum innerstädtischen Shopping-Mall-Kommerz und diskreditieren den Bau als Stein gewordene Fantasie fieser Niveau-Verflacher und Kunst-Managertypen. »Umso mehr sind wir mit aller Entschiedenheit für den Erhalt der Kölner Kunsthalle«, forderte Anfang August Schauspieler und Protest-Sprecher Udo Kier. »Sie ist ein schönes, denkmalwürdiges Gebäude, das den besten Teil der Nachkriegsgeschichte der Stadt Köln verkörpert: die Geschichte der Gegenwartskunst seit den 60er Jahren und die internationale Bedeutung der Kölner Kunstszene.« Das Multimuseum dagegen wäre nichts weiteres als ein halb garer und dabei aalglatter Kompromiss, mit dem man sich auch der städtebaulichen Problemzone am Haubrichhof mit seinen versprengten Obdachlosen und Drogensüchtigen elegant entledigen will. Sozusagen saubere City durch Kunst.
Im fernen Braunschweig kann man über solche Kampfrhetorik nur staunen. Hier residiert das Architektenbüro Schneider & Sendelbach, das im Dezember 1996 unter 230 internationalen Mitkonkurrenten als Sieger des Wettbewerbs hervorging. Das erste Museumsprojekt für das Team, und dann gleich im chaotischen Köln, wo zwischen Wettbewerb und Realisierung mancher Großprojekte wie etwa Rheinauhafen, Deutzer Euroforum oder der Nutzung des ehemaligen CFK-Geländes in Kalk durchaus ein Jahrzehnt liegen kann. Seitdem ist das Feder führende Duo Uli Schneider (45) und Heiner Sendelbach (50) mit den Anforderungen von allen Nutzern gleichermaßen konfrontiert. »Ein ganz spezieller Fall. Alle hatten ihre eigenen Wünsche, die mit den durchaus vorhandenen gemeinsamen Interessen in Einklang gebracht werden mussten«, erzählt Heiner Sendelbach. »Es wird z.B. keine sechs Hausmeister geben, sondern eine Art Center Management für Logistik und Sicherheit. Das Ganze war wirklich komplex und zäh in den Abstimmungsprozessen.« Während Sendelbach durchaus verstehen kann, dass durch die Kunsthalle von Franz Lammersens das »Herzblut der 60er und 70er Jahre« fließt, kann er mit den von Udo Kier und Co. vorgetragenen »denkmalpflegerischen, architektur- und kunsthistorischen, kulturgeschichtlichen, urbanen und ökonomischen Gründen« einer völligen Kehrtwende – notwendigerweise – wenig anfangen. Schließlich will sein Büro das einst konzipierte und immer wieder umgestrickte Projekt endlich auch umsetzen.

»Durch den unseligen Beschluss der Stadt wurde die moderne Kunst gegen das honorige Völkerkundemuseum ausgespielt«

Trotz der Prominenz auf der einen und des offiziellen Budenzaubers auf der anderen Seite ist es übrigens nicht gelungen, breitere Bevölkerungskreise für (oder gegen) das Museum zu mobilisieren. Der neu entstehende Elefantenpark im Zoo (»Bauen für die Grauen«) löst da mehr Reaktionen aus. So beschränkte sich die Kontroverse auf die höheren Stände und die informierten Fachkreise. Der sprichwörtliche kleine Mann von der Straße zuckt nur mit den Achseln. So entstand ein bizarres Klima um ein »Museum, das keiner will« (Express), das aber angesichts des fortgeschrittenen Planungs- und Demontageprozesses kaum noch zu verhindern ist. Schneider & Sendelbach nahmen mit Flankenschutz der Stadt zweimal am Kölner Architekturforum »plan« teil (1999 und 2001), wo jeweils der Vorplanungs- und der spätere Entwurf präsentiert wurde. Eine ergänzende Ausstellung in eben der Haubrich-Kunsthalle sollte Appetit auf die Zukunft machen. Jede Institution stellte hier Exponate aus, die es später einmal im gemeinsamen Haus zu sehen geben könnte. Emotionale Bindungen wurden damit jedoch nicht aufgebaut.
Wer sich eine eigene Meinung bilden will, über den »in mehreren Gebäudeabschnitten erlebbaren Kubus auf der Grundform eines Rechtecks mit dem Seitenverhältnis 2:1, der in Schichten in Nord-Süd erlebbar ist«, sollte die ausführliche Darstellung auf www. koelnarchitektur.de nutzen. Zwar geht aus der virtuellen Darstellung nicht hervor, ob der künftige Komplex ebenfalls jene seltsame Sterilität ausstrahlen wird wie das neue Wallraf-Richartz-Museum (WRM) von Stararchitekt und Quadratstapler Oswald Maria Ungers, doch ein differenzierter Eindruck wird hier allemal vermittelt. »Es wird sehr anders«, sagt Heiner Sendelbach, »weil die Anforderungen völlig anders sind. Das WRM ist eine Gemäldegalerie mit einem kunsthistorisch definierten Hängekonzept. Beim RJM, also der Haupt-Ausstellungsfläche, geht es für uns im Wesentlichen um eine leere Hülle, die ein Ausstellungsplaner dann in ein flexibles Konzept verwandelt. So wollte es die Museumsleitung, damit das Haus alle paar Jahre von Grund auf verändert werden kann. Anders als bisher im Völkerkunde-Museum gibt es keine feste Innenarchitektur: Der Ausstellungsplaner erarbeitet nach einem vorliegenden, didaktischen Konzept seinen Raumentwurf en detail.«
Durch den unseligen Beschluss der Stadt zu Gunsten einer räumlichen und konzeptionellen Neuordnung der Museumslandschaft am Neumarkt wurde – nach dem heutigen Erkenntnisstand – die moderne Kunst, sprich Kunsthalle und Kunstverein, gegen das honorige Völkerkundemuseum ausgespielt. Fortan müssen Institute mit konträrer Struktur und Klientel miteinander auskommen. »Ein einzelnes, neues RJM zu bauen wäre sicherlich flotter und geräuschloser vonstatten gegangen«, räumt auch Architekt Sendelbach ein. Doch mit der entsprechenden Landesförderung wollten die damals Verantwortlichen ein komplexes Themenbündel entwirren. Herausgekommen ist ein gordischer Knubbel, aus dem künftige Betreiber wohl das Beste machen müssen. Eine in Aussicht gestellte Einbindung der Rebellengruppe in die Detailplanung der neuen Kunsthalle zeigt ein offensichtliches Unwohlsein auch bei den Stadtoberen. Auch wenn das natürlich niemand zugeben wird. Schließlich hatte die heutige Kulturderzentin Hüllenkrämer in ihrer Zeit als Stadt-Anzeiger-Redakteurin sich gegen das Konzept ausgesprochen.