Chicago am Rhein

1967 ein Skandal, jetzt endlich auf DVD: Heißes Pflaster Köln von Ernst Hofbauer

 

Obacht, Kölner Luden: Die Österreicher kommen! »Exquisit und exklusiv« soll es in ihren Edelpuffs zugehen — da haben die proletarisch kernigen Kölner Jungs, denen die Konkurrenz der Reihe nach die Mädchen von der Straße wegschnappt, rasch das Nachsehen. Schon fließt Blut im Hinterhof einer einschlägigen Milieukneipe, die Situation eskaliert. Am Rande des Geschehens: erboste Kleinbürger, die ihrer Empörung bei leichten Mädchen Luft verschaffen, kleinkriminelle Gören unter 18, die Omas Rente konfiszieren, ein mitten auf der Hohe Straße attackierter Staatsanwalt, eine genasführte Polizei sowie zur Krönung grelle Schlagzeilen des Express.

 

Verkommenheit im Schatten des Doms, wohin man blickt: Köln, ein Sittenbild in noir — Chicago am Rhein! Insbesondere bei der Tourismusabteilung der Stadtverwaltung stieß »Heißes Pflaster Köln« mit seinen Schießereien, eindeutig zweideutigen Hurengesprächen und hemdsärmeligen Luden — unter den Schauspielern der spätere Fassbinder-Darsteller Klaus Löwitsch — zur Premiere 1967 auf wenig Gegenliebe. Heute macht diese herrlich triviale, moralisch verlotterte Räuberpistole nicht nur als Stadtbild-Bingo mit Lokalkolorit, sondern auch als urbaner Genrefilm ungeheuer viel Spaß. Dass dafür ganz buchstäblich Österreicher an den Rhein kommen mussten, ist Ironie des Schicksals. Sowohl die Produktionsfirma Lisa Film als auch Regisseur Ernst Hofbauer kamen aus der Alpenre­publik und schmierten das onkelige BRD-Unterhaltungskino ordentlich ein: Lisa Film produzierte vom Dirndlsex über Schwachsinn mit Thomas Gottschalk (»Die Supernasen«) bis zum Wörthersee-Schmonz querbeet alles, was nach Umsatz roch. Hofbauer reüssierte später beim »Schulmädchen-Report«, dessen lüsterner, pseudo-empörter Sensationalismus hier bereits deutlich anklingt — ein vergessener auteur des Sittenreißers.

 

Kolportage-Kino auch im ästhetisch feinsten Sinne also, das zudem von einer mittlerweile weitgehend vergessenen Genretradition der deutschen Filmgeschichte erzählt: Was heute im Schatten von bleierner Filmförderbürokratie, Til-Schweiger-»Tatort« und feuilletonistischer Filmpreisdiskussionen so greinend wie schwerfällig eingefordert wird, wurde zur Zeit des Bahnhofskinos ganz einfach gedreht und kaltschnäuzig auf den Markt geworfen: urbane, kurzatmige Stoffe, die sich an Aktualitäten ranschmeißen, ohne sich zu Themenfilmen auszuwachsen, in der Umsetzung eher rabaukig amerikanisch als bundesrepublikanisch ungelenk und mit dem Publikum stets auf Augenhöhe.

 

Die DVD kann u.a. hier erworben werden: koelnprogramm.de

 

Text: Thomas Groh

 

»Doppelmoral war typisch für die Zeit«

 

Wie viel Wahrheit steckt in Heißes Pflaster Köln? Ein Gespräch mit dem Autor, Filmemacher und Experten für das Kölner Milieu Peter F. Müller

 

»Heißes Pflaster Köln« spielt nicht zufällig in Köln. Bis in die 60er Jahre hinein hatte die Stadt tatsächlich den Ruf, das »Chicago am Rhein« zu sein. Warum gab es hier so viel Kriminalität?

 

Mir hat ein Polizist glaubhaft erzählt, dass es in der Nachkriegszeit genug Kollegen gab, die in der Nazizeit im Gefüge mit drin gewesen waren, bei denen die Ganoven gesagt haben: Pass mal auf, wir kennen deine Vergangenheit, halt mal schön den Ball flach, sonst packen wir aus. Das war einer der Gründe, weshalb es hier so einen Wildwuchs gab in den 50er und 60er Jahren. Aber warum sollte es bei der Polizei auch anders gewesen sein als in allen anderen öffentlichen Bereichen in Köln. Natürlich gab es auch da Klüngel — man kennt sich, man hilft sich. Es gab auch wirklich, wie im Film dargestellt, den Versuch von Wiener Luden, in Köln Fuß zu fassen. Ende der 60er Jahre wurde Hans Werner Hamacher als Kriminaldirektor aus Düsseldorf nach Köln geschickt, um hier aufzuräumen. Die Aufklärungsquote ist dann wesentlich besser geworden.

 

Im Film echauffiert sich ein Kölner Katholik über die Kriminalität, finanziert aber selber als regelmäßiger Puffgänger die Ganoven mit. Hatte der Katholizismus mit seinem besonderen Verhältnis zur Sünde auch Anteil an den Zuständen in Köln?

 

Diese Art von Doppelmoral war weniger Köln-spezifisch als typisch für die Zeit. Offiziell herrschte Prüderie, aber natürlich sind die Männer in den Puff gegangen. Köln war übrigens die erste Stadt, die ein Eros-Center hat bauen lassen. Das »Pascha« gibt es ja schon seit 1972, nachdem der Straßenstrich in bestimmten Gebieten verboten worden war. Das ist typisch Kölsch: Die Stadt ist nicht hingegangen und hat gesagt, ihr dürft nicht mehr, sondern: Wir stellen euch jetzt ein Grundstück zur Verfügung, dann könnt ihr das da machen. Nach dem Motto: Unterdrücken kann man das Bedürfnis nicht, dann wenigstens kontrollieren.
Wo waren denn bis dahin die Orte für das Rotlicht- und Kriminellen-Milieu? Der Film spielt viel in Rheinnähe. Am Eigelstein und in der Weidengasse, im Gebiet um den Friesenplatz und in Rheinnähe gab es mehrere Bordelle in der Nesselgasse. Die existiert aber nicht mehr, da wurde Ende der 50er Jahre die Severinsbrücke drüber gebaut. Vergessen darf man natürlich nicht die Kleine Brinkgasse.

 

An der Ehrenstraße?

 

Genau, das kann sich heute keiner mehr vorstellen: Die war — wie die Herbertstraße in Hamburg — mit Mauern abgetrennt und hinter diesem Sichtschutz boten die Prostitu­ierten ihre Dienste an, mitten in der Stadt.

 

Interview: Sven von Reden

 

Literatur: Peter F. Müller »Chicago am Rhein: Geschichten aus dem Kölner Milieu«, KiWi, Köln 2011, 160 Seiten, 14,99 Euro.
Auf DVD erhältlich: »Wir waren das Miljö — Geschichten aus Köln« von Peter F. Müller