Bernd Wilberg

Einfach nicht einfach

Nachtisch - die Gastrokolumne

Es gibt in der Gastronomie den Kult des Schwulstes und den Kult der Schlichtheit. Der kulinarische Schwulst steht dabei in schlechtem Ruf. Tatsächlich hat er luxuriösen Nonsens hervorgebracht, wie den sprichwörtlichen Hummer unter der Kaviar­kruste auf Champagnersauce. Aber das ist lange her, und solcher Unfug hat selbst bei Parvenüs kein Renommee. Sie lassen zwar immer noch die Doppelmagnum Bordeaux mit großer Geste entkorken, aber dazu gibt’s dann US-Beef oder Pasta mit Gambas.

 

Schon lange bekennt sich ja die gehobene Gastronomie zur »ehrlichen Küche« und zu »bodenständigen Mahlzeiten«. Im Zuge dessen gelangte das Wiener Schnitzel ebenso auf die Karten der besten Restaurants wie Steckrüben oder Brathering. Bedauerlicherweise strahlt diese gute Mode aber nicht auf die unterklassigen Restaurants ab. Im Gegenteil. Sie imitieren den falsche Glanz des Schwulstes. Kaum noch ein Kneipenrestaurant, das nicht mit Schäumchen und halsbrecherischen Kombinationen hantieren würde. Doch starke Aromen auszubalancieren, Fisch und Fleisch zu vereinen oder die Kapriolen der Molekularküche nachzuvollziehen — das gelingt nur den Talentiertesten, und die stehen woanders am Herd.

 

Für die einfache Gastronomie muss der Grundsatz lauten, eine Kartoffelsuppe als Kartoffel­suppe zu servieren — und nicht zur vermeintlichen Aufwertung noch plumpes Trüffel­öl, Zitronen­gras oder geschmacks­neutrale Garnelen unterzumengen. Diese Haltung wäre schon Heraus­forderung genug. Eben weil das Schlichte ebenso Sorgfalt verlangt wie das Aufwändige. Ein gutes Spiegelei zu bereiten, verlangt mehr Geschick als eine mit Gimmicks überladene Variante, die nur dazu dient, die ausgeflippte Kreativität des Kochs auszustellen und damit die Kundschaft zu blenden.

 

Dort, wo man sich zu unverstellter Schlichtheit bekennt, geschieht das dann leider zumeist unter einem fragwürdigen Schlachtruf: Futtern wie bei  Muttern! Warum wäre es sonst so schwierig, ein aromatisches Kartoffelpüree, einen guten grünen Salat oder auch ein Schnitzel, an dem nicht die Panade pappt, zu bekommen? Hier offenbart sich ein Kult der Schlichtheit, dem eigentlich der Genuss zuwider ist. Wo es im Kult des Schwulstes heißt: Hauptsache teuer, heißt es im Bekenntnis zur einfachen Küche allzu oft bloß: Haupt­sache satt.