Fotos: Manfred Wegener

Die Stadt als Werbefläche

Der Rat der Stadt hat neue Regeln für die Werbung im öffentlichen Raum festgesetzt. Weil man die Einnahmen steigern will, wird der optischen Verschandelung nicht ausreichend Einhalt geboten

Urbanität kann nie gemütlich sein. Ebenso wie Lärm und Schmutz gehört Reklame zur Stadt. Doch Straßen und Plätze werden immer stärker kommerzialisiert. Das bedeutet, dass private wirtschaftliche Interessen jenen Raum prägen, der doch eigentlich öffentlich ist. Reklametafeln nehmen unsere Aufmerksamkeit in Beschlag, sie stören das räumliche Erleben von Orten, unterbrechen Sichtachsen, verstellen den Blick auf Architektur. Im äußersten Fall verschwindet das Eigentümliche hinter den überall gleichen Kampagnen der Konzerne.

 

In Köln hatte man gerade die Chance, dem Einhalt zu gebieten und die Werbung im öffentlichen Raum einzuschränken. Der bisherige Werbenutzungsvertrag von 1994 läuft Ende kommenden Jahres aus. Deshalb musste jetzt schon die Ausschreibung für eine Vergabe bis zum Jahr 2030 geregelt werden. In nicht-öffentlicher Sitzung des Rates wurden die Grundlagen dafür beschlossen, an einer öffentlichen Debatte über Werbung in der Stadt hatten weder die Stadtspitze noch die Parteien Interesse. Dass es im Vorfeld hinter verschlossenen Türen hoch herging, belegt ein internes Protokoll aus dem Stadtentwicklungsausschuss.

 

Der neue Werbenutzungsvertrag ist ein fauler Kompromiss: Es wird mehr Werbeflächen geben als zuvor, doch ob dadurch wenigstens die Einnahmen steigen, ist ungewiss. Derzeit liegt der jährliche Erlös bei rund 5,5 Millionen Euro. Die eine Hälfte fließt an die Stadtwerke Köln (SWK), die andere Hälfte kommt dem städtischen Haushalt zugute. Optimisten rechnen mit zukünftig sieben oder acht Millionen Euro. Andere glauben, man könne bestenfalls weiter die bisherige Summe erzielen. Obwohl die etwa 10.000 Werbeträger — von Schildern an Masten bis zu Zirkustafeln an Zäunen — um 18 Prozent verringert werden, könnte die Werbefläche insgesamt um knapp ein Viertel zunehmen und alles noch bunter und unruhiger werden. Es wird mehr Digitalwerbung und auch mehr sogenannte Wechsler geben, in denen bis zu drei Plakate durchlaufen, die jeweils nur wenige Sekunden zu sehen sind.

 

Zwei große Konzerne vermarkten bislang die Kölner Werbeplätze: zum einen der Marktführer JCDecaux, zum anderen die Kölner Außenwerbung (KAW), die zur finanziell angeschlagenen Ströer-Gruppe gehört. Hinter vorgehaltener Hand sagen Ratspolitiker, sie wünschten sich, dass im Sinne einer lokalen Wirtschaftsförderung die Kölner Firma Ströer samt Kölner Außenwerbung, an der wiederum auch die Stadtwerke beteiligt sind — stärker zum Zuge käme. Ströer war in den vergangenen Jahren in dem erbitterten Konkurrenzkampf mit JCDecaux meist unterlegen. Einige Branchenkenner vermuten, dass der französische Konzern seine marktbeherrschende Stellung auch in Köln ausbauen wird und demnächst der Stadt die Bedingungen diktieren könnte.

 

Seit 1984 ist JCDecaux mit der Stadt im Geschäft, damals noch als Gesellschaft für urbane Verkehrseinrichtungen/JCDecaux (GUVE). Man errichtete zunächst 750 Fahrgastunterstände für die KVB und durfte dafür die neuen Werbeflächen vermarkten. Die Stadt verschaffte GUVE zudem 300 Standorte für deren zweiseitige Werbetafeln: Die eine Seite nutzte die Stadt für Eigenwerbung, die andere, besser ausgerichtete Seite konnte GUVE vermieten. Die Firma erhielt so 1800 Reklameflächen in Köln. 1988 wurde der Deal ausgebaut: noch einmal 300 Werbestandorte gegen weitere 450 Wartehäuschen für die KVB. 1994, bei Abschluss des nun auslaufenden Werbenutzungsvertrags, wurde ein besonders kurioser Deal bekannt. GUVE erhielt den Auftrag, 20 öffentliche Toiletten zu errichten, und erhielt als Gegenleistung die Berechtigung, stadtweit bis zu 200 »City-Light-Boards« (CBL) aufzustellen: neun Quadratmeter große Werbetafeln, verglast und hintergrundbeleuchtet, montiert auf einer Säule.

 

Heute stehen 155 solcher CBLs in der Stadt, mit 3fach-Wechslern auf Vorder- und Rückseiten. Vermarktet werden sie heute von Ströer, ebenso wie die Werbeträger in den U-Bahn-Stationen. JCDecaux betreibt hingegen die KVB-Wartehäuschen sowie mehr als 330 beidseitig hintergrundbeleuchtete Stadtinformationsanlagen (SIA) mit zwei Quadratmeter großen »City Light-Postern« wie sie etwa an U-Bahn-Eingängen, aber auch an den Ringen stehen: auf der besser postierten Seite Reklame, auf der Rückseite städtische Eigenwerbung.

 

Der neue Werbenutzungsvertrag spaltet die Fraktionen: Obwohl die rot-grüne Ratsmehrheit sich mit CDU und FDP monatelang beraten hatte, versagten diese in der Ratssitzung die Unterstützung. Ralph Sterck, FDP-Fraktionschef, sieht aufgrund der nun vorbereiteten Ausschreibung einen fairen Wettbewerb gefährdet, die Vormachtstellung von JCDecaux drohe überhand zu nehmen, so Sterck. Die CDU-Fraktion war in Bezug auf die Ausschreibung gespalten. Jürgen Klipper (CDU), Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses, stört die Dominanz von JCDecaux. Ansonsten sorgt er sich wegen Digitalisierung und Dreifach-Wechslern, vor allem an den KVB-Wartehäuschen. Derzeit überlegen die Politiker ernsthaft, wann die Wechsler weniger stören: wenn man sie bei KVB-Unterständen nur innen oder nur außen zulässt?

 

Vor allem auf den unterirdischen Bahnsteigen wird die optische Verwahrlosung zunehmen. Bis zu 126 digitale Infoscreens sind bald zulässig — bislang gibt es 22. Auf den Zwischenebenen der U-Bahn-Stationen soll es hingegen gar keine Reklame mehr geben. Oberirdisch hat Rot-Grün die Renaissance der Litfaßsäule ausgerufen. Zwar wird die Anzahl von 1100 auf 800 vermindert. Aber statt bislang nur 47 leuchtenden, teilweise sich drehenden Säulen, will man nun 300 zulassen. Zusammen mit 300 Plakatwänden und 200 City-Light-Boards mit Wechslern ergebe das 800 Großflächen, wie Ulrich Soénius (CDU), mit beratender Stimme im Stadtentwicklungsausschuss vertreten, in der nicht-öffentlichen Sitzung schimpfte. Köln werde »weiterhin zugepflastert«, so Soénius, der ansonsten als Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer nicht im Verdacht steht, Kommerzialisierung zu verdammen.   

 

Doch die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen behaupten, wenn man Reklame aus dem öffentlichen Raum verdränge, weiche die Werbewirtschaft auf private Flächen, etwa Hauswände, aus. Zwar könnte man Werbesatzungen beschließen, um auch dort Einhalt zu gebieten. Dies aber sei juristisch aufwendig und der Erfolg unsicher, sagt etwa Barbara Moritz, Fraktionschefin der Grünen. Immerhin habe man nicht nur rund um den Dom, in der Altstadt, an den romanischen Kirchen und am Rheinufer Schutzzonen ausgewiesen, sondern auch an zentralen Plätzen in den Vierteln. Wie viele am Konzept Beteiligte gibt Moritz zu, nicht zufrieden zu sein. Doch seien die Werbeformate verringert worden, durch Design-Richtlinien würden zudem die Werbeflächen im Stadtbild erträglicher.

 

Im Rat wollte nur die Linksfraktion den rot-grünen Antrag zum Werbenutzungsvertrag unterstützen. Die Linke beteiligte sich noch mit einem Änderungsantrag: In jedem der neun Kölner Stadtbezirke wird es zukünftig noch eine neu konzipierte Reklamefläche geben: Darauf dürfen Kölner Initiativen und Vereine für ihr Anliegen werben.