Stinkefinger auf dem Kopf

Materialien zur Meinungsbildung, Folge 136

Ja, ich trage jetzt einen Fahrradhelm. Solange Taxifahrer und frustrierte Mittfünfzigerinnen in zu großen Jeeps auf alles Jagd machen, was nicht motorisiert ist, kann ich nicht anders. Ich kenne poetischere Todesarten, als das Leben im Stoßfänger eines SUV auszuhauchen, während die Besitzerin genervt telefoniert (»Sorry, wird später, hab hier noch Stress…«).

 

Es ist mir nicht leicht gefallen, mich für den Helm zu entscheiden. Aber meine bedingungslose Bejahung des Lebens wog letztlich schwerer als alle ästhetischen Bedenken. Ein Geflecht wulstiger Streben prangt auf meinen Kopf. Es sieht aus wie die geöffnete Schädeldecke eines Aliens. Fahrradhelme aber, die hirnchirurgische Assoziationen wecken, sind meines Erachtens keine hübschen Fahrradhelme. Designer sind Scharlatane. Sie haben gelernt, Laptops wie hochglanzpolierte Badezimmerfliesen eines Luxushotels aussehen zu lassen, aber zu Höherem taugt ihr Talent nicht. Sie sind ja schon erbärmlich an der Aufgabe gescheitert, einen unpeinlichen CD-Ständer zu entwerfen.


Es gibt auch Fahrradhelme, die anders ausschauen. Anders, nicht besser. Deren Designer haben sich offenkundig die Kopfbedeckung der Deutschen Wehrmacht zum Vorbild genommen. Da sind zumindest Copyright-Klagen auszuschließen. Ich weigere mich, mir so etwas auf den Kopf zu schnallen. Lieber präsentiere ich mich als lädierter Alien denn als Nazi-Soldat. Ich fahre Fahrrad. Ich führe keinen Angriffskrieg. Im Gegensatz zu den Heißspornen in ihren Taxis und Jeeps. Drum hört, ihr hochmütigen Wagenlenker, die ihr euch berauscht an hohen PS-Zahlen und niedrigen Leasingraten: Ihr habt mich zu einer sehr hässlichen Kopfbedeckung genötigt! Ihr habt mich zum Gespött der Großstadt-Hipster gemacht, und ihr habt mich in Versuchung geführt, einen designten Nazi-Helm aufzusetzen. Doch nie werdet ihr mich unterkriegen! Denn obwohl ich sehe, dass ihr weder Blinker noch Außenspiegel benutzt, und obwohl ich weiß, dass ihr mich keines Schulterblicks würdigt, werde ich weiterfahren, wenn ihr mir nicht nur die Würde, sondern auch noch die Vorfahrt nehmt. Und wenn es nur dazu dient, mit meinen Eingeweiden euren Kühlergrill zu besudeln.

 

Die Verachtung, die uns Trägern von Fahrradhelmen entgegenschlägt, ist ja kein Einzelfall, sie entspringt aus der Mitte der Gesellschaft. Sie gründet gar nicht auf einer schöngeistigen Betrachtung, denn viele alltägliche Dinge werden trotz ihrer Lächerlichkeit akzeptiert: Kaffee im Gehen trinken, Turnschuhe, Putenbrustsalate. Den Fahrradhelm verachtet man nicht wegen seiner Alien-Gehirn-Ähnlichkeit. Man verachtet ihn, weil er den Wunsch nach Sicherheit ausdrückt. Das aber rockt weder, noch ist es sexy, um es in der Sprache der Vollidioten, der Lingua franca des Lifestyle-Gelabers, auszudrücken. Sicherheit ist allenfalls beim neuesten App-Update sexy. Selbst der Laubbläser-Mann, der fast täglich ums Haus streift, um Lärm auf Gehwege und Garageneinfahrten zu pusten, trägt keinen Gehörschutz. Lieber ist er taub als ein Weichei. Und wenn Oma Porz mit dem Rollator um die Ecke kommt, lauert ihr im Faulenzer-Café schon ein Dutzend freiberuflicher Witzemacher auf, um das als Inspiration für ein ganzes Comedy-Format zu nehmen. Warum gönnen sie einem betagten Menschen den Rollator nicht, warum mir nicht den  Fahrradhelm? Weil sie die Handlanger eines Systems sind, das die Schwäche verhöhnt und den Ausnahmezustand ästhetisiert. Mein Fahrradhelm aber wird der Stinkefinger sein, den ich diesem System entgegenstrecke. Vielleicht setze ich mir zur Verdeutlichung auch eine Pickelhaube auf. Auch nicht schlimmer als ein stylisher Nazihelm.