»Die künstlerische Arbeit sollte bezahlt werden und nicht die Auswertung«

Wie verändert das Internet den Film? Ein Gespräch mit Lars Henrik Gass, Festivalleiter der Kurzfilmtage Oberhausen, über das Ende der Vorherrschaft des Kinos

Der diesjährige Schwerpunkt der Kurzfilmtage Oberhausen hat den Titel »Flatness — Kino nach dem Internet«. Hört sich an, als sei das Internetzeitalter schon vorbei.

 

Natürlich ist das Internetzeitalter nicht vorbei. Gemeint ist: nach dem Siegeszug des Internets. Ich glaube, dass noch nicht einmal in Umrissen erkennbar ist, wo uns das Internet hinführen wird. Es geht darum, dass Film heute völlig anders wahrgenommen wird, als noch unter den Vorzeichen des Kinos. Da sind wir beim Begriff »Flatness«. Die Frage ist, ob diese Bilder überhaupt noch jemand adressieren, der sich in einem solchen spezifischen Raum befindet. Meine Vermutung ist, dass das nicht mehr der Fall ist.

 

Ist das wirklich so? Gerade mit 3D versucht die Industrie, das Kino wieder zum Erlebnisraum zu machen.

 

Es gibt eine Doppelstrategie. Einerseits werden ex­-trem teure Filme produziert, die auf eine Überwältigungsstrategie setzen: große Kinos, Brillen, Dolby-Surround. Aber gleichzeitig müssen die Inhalte überall auswertbar bleiben: in Videotheken, im Internet, auf Smartphones. Sicher werden die Kinos weiter bespielt, aber ich denke, dass der Digitalisierungsprozess, der derzeit statt­findet, letztlich nur verzögert, dass die Auswertung von Filmen künftig nicht mehr wirklich im Kino stattfindet. Es liegt auf der Hand, dass eine Industrie, die mittlerweile ihre Umsätze in erster Linie jenseits des Kinos einspielt, sich Gedanken darüber machen muss, ob die Filme da auch funktionieren.

 

Es geht also darum, wie das Internet die Filme verändert?

 

Genau, uns beschäftigen nicht die überall gestellten Fragen, was man mit dem Internet machen und wie man da Geld verdienen kann, sondern wie sich die Bilder und der künstlerische Umgang mit ihnen verändern.

 

Gibt es schon eine Antwort?

 

Ich kann das nicht stellvertretend für die Kuratorin des Schwerpunkts, Shama Khanna, beantworten. Aber es gibt natürlich eine explosionsartige Zunahme von Künstlern und Filmemachern, die mit gefundenen Bildern arbeiten und Bezug nehmen auf Bilder, die schon im Umlauf sind. Ich glaube, die unmittelbare Textur der Bilder ist das eine, das andere ist: Wie bezieht man sich auf die Bilder von anderen? Das ist der andere Aspekt, der eher eine Frage der sozialen Gebrauchsform ist.

 


Da sind wir beim Thema Urheberrecht. Hat es da Probleme gegeben?

 

Wir hatten in diesem Jahr die absurde Situation, dass ein Regisseur — ich nenne keinen Namen und Titel — seinen aus durchweg fremdem Material entstandenen Film zwar im Internet zeigt, aber Angst hatte, ihn in Oberhausen zu präsentieren. Grundsätzlich ist meine Haltung in der ganzen Diskussion, dass man eher zu dem Gedanken zurückkehren sollte, dass die Arbeit bezahlt wird und nicht die Auswertung. Das hätte sehr weitreichende Konsequenzen im Umgang mit der Entstehung von Film oder überhaupt von künstlerischen Werken. Ich vermag nicht genau aufzuzeigen, worauf das im Einzelnen hinausläuft, aber wenn man dieses Leitbild für richtig ansieht, wird man eine andere Richtung einschlagen. Dann kommt man zu dem Schluss, dass es nicht darum gehen kann, die Musik- oder Filmindustrie zu alimentieren, die von der Auswertung der Werke lebt, sondern darum, die Künstler richtig zu bezahlen.

 


Zurück zum Festival. Was bedeutet die Digitalisierung konkret für die Kurzfilmtage?

 

Die Rahmenbedingungen verändern sich ganz massiv. Einerseits könnte man sagen: Alles super, wir haben auch dieses Jahr noch einmal mehr Einreichungen bekommen, insgesamt über 6500 Filme. Auf der anderen Seite haben viele Kollegen mittlerweile das Problem, dass die Kinoinfrastruktur schwindet. Ich weiß, dass etwa das Filmfestival von Rotterdam erheblich unter dem Schwund der Kinos in der Stadt leidet. Teilweise ist es wirklich ein praktisches Problem: Wo finden Veranstaltungen überhaupt statt? Außerdem stellt sich die Frage: Wenn einmal alles auf digitale Projektion umgestellt ist, wie zeigt man noch Filmgeschichte? Gibt es überhaupt noch die Struktur, um Kino in seiner ganzen Bandbreite zu zeigen?

 


Ändert sich das Selbstverständnis des Festivals?

 

Sicher, früher vermittelten wir Filme für eine weitere Auswertung im Kino oder im Fernsehen. Das findet in dieser Form gar nicht mehr statt. Daher muss ich mich fragen, welche Aufgaben auf uns zukommen. Festivals sind mittlerweile die Endstation für viele Werke. Das heißt, dass sie im Grunde eine Auswertung von Filmen darstellen und dass daraus Konsequenzen erwachsen müssen, was sowohl die Infrastruktur anbelangt als auch die Leitbilder der Förderung und so weiter. Das bedeutet nicht, dass die Festivals die Kinos übernehmen müssten, aber ich glaube, dass man neu nachdenken muss.