Kino statt Leben

Meta-Thriller: »Stoker« von Park Chan-wook

An ihrem 18. Geburtstag verliert India Stoker (toller Name!) ihren geliebten Vater. Dafür tritt dessen Bruder Charlie in das Leben der zer­­störten Kleinfamilie. Bald zeigt sich, dass mit Charlie das Böse in ihre Mitte getreten ist — und dass India nur darauf wartet, ihre dunklen Seiten ans Licht lassen zu dürfen.

 

Zum Positiven: »Stoker« ist Park Chan-wooks bester Film seit Langem. Weil der Regisseur von Filmen wie »Oldboy« und »Lady Vengeance« sich offenbar der Maschinerie Hollywoods anpassen musste, weil er seine meist peinlich zur Schau gestellte — zu oft mit Originalität verwechselte — Bilderfindigkeit den Industrieimperativen untergeordnet hat. Anders formuliert: Hier konnte der Südkoreaner sich darauf beschränken, seinen Veranlagungen entsprechendes Fremdmaterial kreativ zu bearbeiten. Das hat er solide hinbekommen, seine Regieeinfälle ziehen nur selten die Aufmerksamkeit unbotmäßig an sich, er bringt die Handlung gut in Fahrt und hält sie mit Zug routiniert am Laufen.

 

Womit wir beim Problem des Films wären: der Geschichte. Wie fast alle postmodernen Genrepastiches des letzten Jahrzehnts krankt »Stoker« daran, dass ständig all das gezeigt wird, was die Meister des Suspense-Kinos über die Gestaltung erzählen mussten. Zeigt man, um beim Offensichtlichsten zu bleiben, Sex in diesen und jenen Verworfenheitsgraden, verkommen die gestalterischen Strategien, die man früher nutzte (oder zu nutzen gezwungen war), um diese Dinge zu umschreiben, zur puren Dekoration.

 

Brian De Palma und Dario Argento haben Hitchcocks Themen- und Zeichenkorpus schon von innen nach außen gestülpt, dessen Metaebenen zur eigentlichen Geschichte gemacht und deren Inszenierung, Ticks und Tricks bis zu ihrem Ende durchdacht. Und sie haben dies mit Elementen aus verwandten Genres gekreuzt, aufgefrischt, ausgestellt. Was Arbeiten wie »Stoker« bleibt, ist, die Metaebenen unter Mobilisierung des gesamten ästhetischen Arsenals noch krasser mit einer ans Weihevolle grenzenden Verbissenheit so zu erzählen, dass man glauben könnte, es ginge noch um etwas. Tut es aber nicht. Das passiert, wenn man sich mehr für das Kino als das Leben interessiert. Wobei sich diese Studie in Cine-Nekrophilie wirklich besser ansehen lässt als Vergleichbares aus vergangenen Jahren.