Dinge stehen lassen, Dinge verändern

Tricky schlafwandelt sich zur Verantwortung

»Ich hasse diese Frau«, sagt der Mann, dem ich gegenübersitze. Und man glaubt es ihm sofort. Er sagt es mit großer Bestimmtheit. Es ist einer der ersten Frühlingstage in Berlin. Die Temperaturen sind eigentlich noch zu niedrig, um draußen im Freien zu sitzen, aber mein Gesprächspartner besteht darauf. »Hass ist ein starkes Wort, aber nachdem Thatcher gestorben ist, habe ich in London Menschen auf der Straße vor Freude weinen sehen, die diese Frau noch nie gesehen hatten. Diese Menschen — Thatcher, die Queen, Politiker im allgemeinen — sind Teil des Problems. Alle Probleme, die wir auf der Welt haben, sind von Menschen wie David Cameron und Obama und den Leuten verursacht, die hinter ihnen stehen, den Regierungen.«

 

Tricky, mit bürgerlichem Namen Adrian Thawes, ist in einem armen Viertel in Bristol ­aufgewachsen. Seine Mutter starb, als er noch ein Kind war. Seine Onkels seien Mitglieder von Straßengangs und wiederholt in Messerstechereien und Schießereien verwickelt gewesen, erzählt er. »Ich bin ein Junge aus der Arbei­terklasse, aber ich wollte nie ein harter Kerl sein und war es auch nie. Ich musste mithilfe der Musik meinen Platz finden.« Die Jugendjahre des heute 45-Jährigen sind von der radikalen Politik der Iron Lady geprägt, die, wie er sagt, alles zerschlagen habe, was es noch an Solidarität und sozialem Rückhalt unter den ärmeren Familien in seinem Stadtviertel gegeben habe. Jeder sollte nur noch sich selbst der Nächste sein. »Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, dass es die da oben gibt und uns da unten. Schon bevor Thatcher an die Macht kam, wusste ich das. Also war sie immer der Feind. Als sie an die Macht kam, war diese Vorstellung schon tief in mir verwurzelt, ich hatte keinen Respekt für Menschen wie sie.«

Der Mann, der als Tricky vor einer halben Ewigkeit berühmt wurde, trägt eine schwarze Nietenlederjacke und einen überdimen­sionierten, barock anmutenden Totenkopfring an einem Finger. Er hat an diesem Vormittag schon einiges weggeraucht, und sein bevorzugtes Getränk scheint Espresso zu sein, den er in Mengen konsumiert, bei denen einem schwindlig werden kann. Mitte der 90er Jahre, hat er ein Musikgenre definiert, das eine Zeit lang überaus erfolgreich war: Triphop. Er selbst kann mit diesem Begriff bis heute nichts anfangen. Sein ganzes Künstlerleben lang wird er wohl an seinem Debütalbum »Maxinquaye« (1995) gemessen werden, an dem geisterhaft-düsteren, zeitlupenartigen, fast narkotisierenden Paranoia-Hiphop-Blues seiner Anfangsjahre, der für viele Künstler wegweisend wurde und mit dem er sich von seinen damaligen Kollegen von Massive Attack unabhängig machte.

 

»Politiker sind nicht dazu da, Dinge zu verändern«, fährt Tricky mit seiner Anklage fort. »Sie sind dazu da, den Status Quo zu erhalten und die Freiheiten einzuschrän­ken. Ich wünschte, Thatchers Tod könnte einige von den Dingen, die sie falsch gemacht hat, wieder gut machen. Sogar im Tod kann sie nichts richtig machen, sogar jetzt, wo sie tot ist, werden Millionen von Pounds auf ihre Beerdigung verwendet, während gleichzeitig Menschen keine Wohnungen haben in England. Finster« Und finster klingt auch Trickys neues Sprechsingsang-Album, das dieselbe unterkühlte, somnambule Grundstimmung evoziert wie die früheren. Authentisch sein müsse man, sagt er. Nicht mehr vorgeben, jemand zu sein, der man nicht ist. »Sich nicht mehr permanent darum kümmern müssen, wie man aussieht, sich nicht ständig fürs Fotoshooting zurechtmachen müssen, der Öffentlichkeit keine Rolle mehr vorspielen müssen, das macht heute vieles leichter für mich.«

 

Mit seinen zuletzt veröffentlichten Alben sei er unglücklich gewesen, bekennt er. Das Musikgeschäft und das Touren habe er in jenen Tagen als quälend empfunden, auch weil eitle, auf den kommerziellen Erfolg fokussierte Produzenten und Geschäftsleute zu viel Einfluss auf seine Musik hätten nehmen wollen. Er habe sogar aus Unzufriedenheit seiner damaligen Plattenfirma Domino Tracks, die er für besonders gelungen gehalten habe, vorenthalten, weil er nicht wollte, dass sie Profit aus ihnen schlägt. »Alles, was du dann tust, entwickelt sich negativ. Ich habe auf meinen letzten Touren auf der Bühne sehr viel getrunken, an manchen Abenden fast eine Flasche Whisky. Es war das reinste Chaos.« Nun aber habe sich einiges verändert: Neue Plattenfirma, neue Leute, mit denen er zusammenarbeite und die ihm weitgehend künstlerische Freiheit ließen. Seinen musikalischen Neuanfang will er als Rückbesinnung auf seine künstlerische Anfangszeit verstanden wissen. »Was meine Musik bis heute kennzeichnet, ist eher eine Atmosphäre als ein Stil«, erklärt Tricky.

 

Neulich habe ihn in Paris, wo er lebt, ein junges Paar angesprochen, das seine vierjährige Tochter bei sich hatte. Sie hätten ihr Kind zu seiner Musik gezeugt, habe die Frau ihm anvertraut. »Solche Leute zu treffen, gibt einem den Glauben an das eigene Tun zurück. Wenn ich nicht solche Begegnungen hätte, würde ich vermutlich all das hier nicht mehr machen. Es ist nicht Ruhm oder Geld, was mich motiviert. Wenn man sich als Künstler abschottet und sich nur noch als den großen Superstar sieht, schadet man nur sich selbst. Künstler werden in unserer Gesellschaft wie Götzen verehrt und dann zu Markenprodukten gemacht.« Folgt man Tricky, der schon als Heranwachsender linke Ska-Bands wie die Specials verehrte, kann auch heute Popmusik nur dann Relevanz für sich beanspruchen, wenn sie sowohl formal etwas Neues kreiert als auch den Anspruch, Gesellschaftskritik zu formulieren, nicht aufgibt: Public Enemy, Wu-Tang-Clan, Kate Bush. »Es mag sein, dass sich nichts ändert, wenn ich mit meiner Musik einen politischen Kommentar mache oder Sozialkritik übe, aber ich lehne es auch ab, einfach aufzugeben. Auch wenn ein Sklave weiß, dass er der Sklaverei nicht entkommen kann, legt er sich nicht einfach hin und tut nichts. Musiker wie Bob Marley oder John Lennon haben die Gesellschaft verändert. Man muss es weiter versuchen. Als Mensch trägt man eine Verantwortung.«