Die Einsamkeit der Ebene

Flachland-Drama: »Oben ist es still« von Nanouk Leopold

 

Es geht zu Ende mit dem Alten, wenn auch langsam. Er ist nicht krank, bloß hochbetagt, er zerfällt. Helmer, sein Sohn, schleppt ihn in die Dachkammer, wo er endlich seinen Atem aushauchen und ihn in Frieden lassen soll. Darauf wartet Helmer: frei zu sein.

 

Bis dahin muss er den namenlosen Erzeuger aber noch waschen, füttern, sein Granteln ertragen — der Kindespflicht nachkommen. Was Helmer nicht ohne Wiederworte tut. Den Alten lässt er sogar in der eigenen Scheiße liegen, sagt ihm auf den Kopf zu, wie sehr er ihn hasst für all das, was er ihm mit seinen Schlägen in der Kindheit angetan hat. Das wirkt so, als versuche er, Worte für all das zu finden, was in ihm an Erinnerungen und Gefühlen tobt. Während des Wartens züchtet Helmer Esel und hält sich weitgehend fern von menschlicher Gesellschaft. Mit einem Milchtankwagenfahrer tauscht er lange, vielleicht verliebte Blicke. Einem Knecht versucht er näherzukommen, was arglos wirkt, täppisch, unschuldig. Dann wieder Bilder nackter Felder, der fundamental niederländischen Einsamkeit der Ebenen.

 

Mit ihrem letzten Film »Brownian Movement« (2010) war Nanouk Leopold an einem ersten Entwicklungsendpunkt angelangt. Nach diesem Monument musste alles anders werden, sonst drohte eine angesichts ihrer rigorosen Ästhetik beträchtliche Selbstparodiegefahr. »Oben ist es still« zeigt, wie klar ihr das gewesen sein muss, ist der Film doch in vieler Hinsicht anders als alles, was sie bislang gemacht hat — eine Literatur-, obendrein Bestselleradaption, gehalten in einem konzentrierten, bewusst schlichten Naturalismus, situiert auf dem Land, im Großen und Ganzen (von einer weiblichen Nebenfigur abgesehen) allein unter Männern.

 

»Oben ist es still« besticht aber ebenso wie »Brownian Movement« durch eine unendlich sinnliche Poesie des Konkreten. Leopold erzählt die Geschichte einer Selbst­befreiung, den Beginn eines möglichen Aufbruchs ins Leben durch die Texturen der Welt. Es geht darum, wie glatt geschritten die Dielenböden sind, wie sich Halme im Wind beugen, wie schwer es für einen etwa neunzig Kilo schweren Mann ist, einen vielleicht dreißig Kilo leichteren zu schleppen, wie ein Körper aussieht, der allein harte körperliche Arbeit kennt. Daraus ergeben sich Bilder, Klänge, Gesten, Gefühle, Einsichten. Und das ist schön, kostbar, gut.