Machen auch am Strand eine gute Figur:

Die Stadt gehört uns!

Mit ausgetüftelt guter Laune spielen sich Vampire Weekend durch die Straßen New Yorks.

New York. Mal wieder. Wie oft eigentlich noch? Man kann der Popkultur alles Schlechte unterstellen und noch viel Gutes von ihr erhoffen, weil sie gleich und dabei immer anders klingt. Aber ihr Glauben an New York als Hauptstadt des 20. Jahrhunderts, ihr Festhalten an einem unzerstör­baren Kern des Urbanen, ist die große Konstante. Da mögen die mystischen Orte der Popkultur zwischen East River und Hudson längst gentrifiziert und damit unbezahlbar für ihre früheren Bewohner sein. Da mögen sie in London fluffige Olympiaden abhalten und die Blogs überquellen vor Lobes­hymnen auf die neuen Clubsounds aus Westafrika und die endlosen Hinterhöfe Berlins: New York ist das Nadelöhr, durch das jeder Hype gehen muss. Kann schon ziemlich nerven.

 

»Modern Vampires of the City«, das dritte Album des New Yorker Quartetts Vampire Weekend und gleichzeitig Abschluss einer Trilogie (oder ist das nur ein Marketinggag, um zu legitimieren, dass ihre Alben eben doch recht gleichförmig klingen?), ist eine Hommage an diese Stadt — ihre Heimat. Sagt man so. Sieht auch so aus — mit einer alten Schwarzweiß-Aufnahme auf dem Cover, die die von Nebel umflorte Skyline der Metropole zeigt, ein leicht geheimnis­volles, vielleicht düsteres, eher aber doch verheißungsvolles Foto: Wie ein Gebirge wachsen die Wolkenkratzer aus dem Morgengrauen und warten darauf, von kühnen Eroberern eingenommen zu werden. Keine Frage, dass sich ­Vampire Weekend als solche verstehen — uns gehört die Metropole, die Zukunft, das coole Wissen, was kostet die Welt? Der Auftakt, irgendwie auch das stimmungsvollste Stück, ist denn auch eine dezente Aufforderung zum stilvoll ungezügelten Hedonismus. Ein Hedonismus, bei dem man noch während der größten Ausschweifung weiß, wie unverschämt gut man aussieht. Wer den Musikern ihr wohlsituiertes Gehabe vorwerfen will (»Segelyachtbesitzerkinder im Praktikum« hieß es feinfühlig böse in der FAZ), findet auf »Modern Vampires of the City« reiches Anschauungsmaterial.

 

Tatsächlich ist das Album ein kühn kalkuliertes Werk: Ezra ­Koenig, Sänger und Gitarrist der Band, und Rostam Batmanglij, der Keyboarder, haben die Stücke akribisch mit der modernsten Studiotechnik erarbeitet, erst im vorletzten Arbeitsschritt kamen Bassist Chris Baio und Schlagzeuger Chris Tomson hinzu, die ihre Spuren mit analoger Studiotechnik einspielten. Das Ergebnis besitzt eine ungewöhnliche Tiefenschärfe: eine klanglich sehr detailreiche Produktion, aufwändig verschachtelte Stücke, wobei die Musik an sich — das melodische wie das rhythmische Material — konventionell bleibt und nahtlos an frühere Alben anschließt. Das Naive, Schrammelige, studentisch Unbekümmerte des ersten Albums, das vor fünf Jahren für den Hype um die vier Mitt- und Spätzwanziger sorgte, lässt »Modern Vampires of the City« ebenso hinter sich wie das Epigonale des zweiten Albums.  Es ist ein reifes Album, auf dem der Gesamteindruck wichtiger ist als die einzelnen Songs. Zugunsten eines in sich geschlossenen, ausbuchstabierten Statements verzichtet die Band auf Hits.

 

Aber woher nehmen Vampire Weekend ihre gute Laune eigentlich? Man ahnt Böses (Papa sorgt schon dafür, dass am Ende des Tages die Konten wieder ausgeglichen sind), man sollte aber nicht allzu viel individualpsychologisieren: Auch die gute Laune, die vielleicht Flüchtigste aller Launen, ist ein Topos des zeitgenössischen Pop, der inszeniert, durchgespielt und prinzipiell endlos reproduziert sein will. Diese Doppelbödigkeit beherrschen Vampire Weekend perfekt: Das Album geht runter wie Blutorangeneis aus biodynamischer Milch, aber dieses Spätfrühlingsleichte, dieses Frisch-Klare ist das Ergebnis akribischer Tüftelei. Ein einziger Sommerhit, der sich als Popsuite tarnt — oder umgekehrt. Die Arbeit verschwindet ganz hinter dem Produkt.

 

Man kann das für einen Triumph dieser Art von Musik halten, die auch schon Afrobeat, Paul Simon, Reggae, Post-Punk und US-Schrammel-Indie tiefeninte­griert hat: Neulich lief beim Friseur der wimmernde Paul Simon mit seinem Album »Graceland« —, es hätte auch ein versteckter B-Seiten-Hit der New Yorker sein können. Vampire Weekend sind nicht virtuos, sondern immer ein bisschen ungelenk, deswegen wirken sie origineller als das Original.
»You take your time, young lion«, lautet die letzte Zeile dieses Albums. Es ist nicht so, als würden Vampire Weekend naive Abfeierei betreiben — das urbane Leben wird als eine Art höhere Anstrengung beschworen und in all seiner skurrilen Widersprüchlichkeit besungen. Trotzdem nimmt man den Stücken ihre Tiefe nicht ab, so schwindelerregend sind die Abgründe, von denen Ezra Koenig singt, nun auch wieder nicht. Am besten, man hält sich an das Lichte in ihrer Musik, an die Hymnen, die scheppernde Snare, die bisweilen verdächtig retro klingende Orgel, die allgegenwärtige Kirmeskarussell­lustigkeit. Dann wird »Modern Vampires of the City« zum Sommer-Album 2013. Aber man muss es sich mit den Schnöseln teilen. Oder ist man am Ende gar selber einer?


Tonträger: Vampire Weekend, »Modern Vampires of the City« (XL Recordings/ Beggars Group/ Indigo), bereits erschienen