Aufrecht und am Leben

Vor einem Jahr musste der iranische Musiker Shahin Najafi nach Todesdekreten und Kopfgeldausschreibung abtauchen. Nun hat er sein erstes Buch veröffentlicht.

»Letzter Blick auf diese Stadt. Schon einmal habe ich sie verlassen, wie ein Mann, der nur Zigaretten holt. Emigrant ist, wer länger bleibt.« schreibt der Münchener Dichter SAID als er 1979 das zweite Mal seine Heimatstadt Teheran verlässt. Die Heimat ist seitdem verloren. Doch ein Zuhause hat der Exilant in der deutschen Sprache gefunden: »um zu bleiben/ braucht man hier/ zwei lungen/ für einen atemzug// zwei schatten/ für eine sonne«.

 

Auch Shahin Najafi hat nicht aufgehört zu atmen. Und wie sein älterer Dichterkollege schlägt der Musiker aus dem Nordiran lose Wurzeln. Die Monate der Unsicherheit nach dem Erscheinen seines satirischen Songs »Naghi«, in dem er den zehnten Imam bittet, zurück auf die Erde zu kehren und mit den katastrophalen Zuständen in Iran aufzuräumen, scheinen diesen Prozess eher beschleunigt zu haben. Es folgten zwei Fatwas konservativer Großayatollas, die vage gegen ihn gerichtet waren, und eine Kopfgeldausschreibung über 100.000 Dollar. Najafi tauchte bei Günter Wallraff unter und ging schließlich in die USA. Nun sitzt er in einem Café in der Kölner Innenstadt und dreht sich eine Zigarette. »Man hat mir gesagt, es sei sicherer für mich in Amerika. Ich hab’ mich dort aber nicht sicherer oder unsicherer gefühlt als hier«, erzählt er. Seit Januar ist er wieder in seiner Wahlheimat und ist bereits in Skandinavien, den Niederlanden und Deutschland aufgetreten. »Das Konzert in Köln war sehr besonders, die Atmosphäre im Pfandhaus war toll«, erzählt er. Den Abend hat er auf Persisch und Deutsch bestritten, Übersetzungen liest Bassist Ben vor.

 

Mit seinem Ensemble spielt er jetzt vorwiegend die Songs seines letzten Albums »Hich Hich Hich« (»Nichts Nichts Nichts«): Rock, Jazz, TripHop und blueslastige Balladen. »Meine Rap-Songs spielen wir im Moment nicht. Ich stecke in einer anderen Phase, höre viel Blues, B.B. King vor allem.« Das Label »Rapper« lehnt Najafi zwar strikt ab, doch vor allem bei seinen jungen Fans im Iran sind Songs wie »Sale Khun« (»Das Jahr des Blutes«) oder »Vaghti Khoda khabe« (»Wenn Gott schläft«) beliebt. In »Sale Khun« geht es um die brutale Unterdrückung der Demokratiebewegung im Iran nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren: »Meine Gedichte sind blutrot, eines wie das andere/ Shahin, der Falke, in seinem Käfig dem Wahnsinn verfallen/ Es war ein schlechtes Jahr, doch du und ich, wir waren nicht schlecht/ Sie schlugen uns zusammen, aber wir blieben auf den Beinen/ Auf das Wohl aller grünen Zedern«.

 

In Iran ist HipHop per se underground, weil meist illegal. »Ich höre immer wieder von dort: Bitte hör nicht auf mit Rap!« Kein Wunder, sein Sprechgesang strotzt vor wütender Roughness, trägt die Verzweiflung der postrevolutionären Generation nach außen — um das herauszuhören muss man kein Persisch können. Gangster Rap und Posertum liegen Najafi dabei fern, seine Texte sind lyrisch, wortgewaltig und verstörend.

 

Einige Songtexte sind auch in »Wenn Gott schläft«, dem ersten Buch des 32-jährigen, übersetzt. In leisen Tönen erzählt Najafi zudem von seiner Kindheit im verregneten Gilan, von seinen Teenagerjahren in denen er fromm und weltfremd eine Laufbahn als Koranrezitator verfolgte. Und von seiner Ankunft in Deutschland, wo er zunächst auf freundliche Polizisten traf, dann aber die Härte des Flüchtlingsdaseins kennenlernte: »War das ein Gefängnis? Ein gemachtes Bett, daneben ein Waschbecken und ein Paar Schlappen. Ich musste an die iranische Untersuchungshaft denken. Ich erinnerte mich an die Tage, in denen ich Zigarettenkippen rauchte, an die Kasernenzellen zur Zeit des Militärdienstes, wo man sich vor Kälte zusammenkauern musste. Ich war in Deutschland,
im Land von Nietzsche, Beethoven, Marx, Engels, Habermas.«

 

Aus dieser Lage hat sich Shahin Najafi hochgekämpft, Jobs in Fast Food-Ketten ebenso hinter sich gelassen wie sein durch die Fatwas aufgezwungenes Versteck. Jetzt will er sich auf die Musik konzentrieren. Seine letzte Single »Marge Nazli« (»Nazlis Tod«) ist die Vertonung eines Gedichtes von Ahmad Shamlu, dem wichtigsten modernen Lyriker Irans. Shamlu hat es für seinen Freund Vartan Salakhanian geschrieben, der 1954 beim Flugblattverteilen verhaftet und zu Tode gefoltert wurde. Innerhalb eines Monats wurde Najafis Version fast 65.000 Mal auf Youtube angeklickt. Außerdem hat er mit seinem Bandkollegen Majid Kazemi das Projekt »Okhtapus« gegründet, das iranischen Musikern eine anonyme Veröffentlichungsplattform im Netz bietet.

 

Im Juli gibt Najafi zwei Konzerte in Kanada. Und dann, freut er sich, habe er Zeit, um neue Musik zu schreiben. »Bei mir standen bisher immer die Texte im Mittelpunkt. Jetzt möchte ich wirklich nur noch Musik machen, auch ohne Gesang.« Vielleicht ist das seine Art, sich von dem Trubel um seine Person in die Normalität zu verabschieden? Als politischer Künstler hat Najafi sich nie verstanden, doch in einer Diktatur wie der Islamischen Republik Iran geraten Leben und Lieben täglich in Konflikt mit dem Regime. So auch Najafis Kunst, die meist sein schmerzvolles Verhältnis zur iranischen Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Doch nun hat er begonnen, auch auf Deutsch zu dichten. »Ich kann so auch über Normales schreiben, meine Beziehung und meinen Alltag.«

 

Die Geschichte seines doppelten Exils hat sicher dazu beigetragen, dass ein großer Buchverlag auf ihn aufmerksam wurde. Warum auch nicht? Shahin Nafajis Musik und Texte sind es wert, über die iranische Community hinaus bekannt zu werden. Die zweite Lunge dafür hat er bereits.

 

Buch: Shahin Najafi, »Wenn Gott schläft«, KiWi 2013, 160 S., 8,99 Euro, weitere Infos unter shahinmusic.net