Die Farbe Rot

Avantgarde im Genremantel: "Only God Forgives" von Nicolas Winding Refn

Vergessen wir fürs Erste die aller Verwinkeltheit zum Trotz schlichte, um nicht zu sagen archaische Blutrache-Geschichte. Vielleicht ist die Nicolas Winding Refn (»Drive«) auch nicht so wichtig und nur deshalb als pulpiger Mischmasch aus griechischer Tragödie und Altem Testament angelegt, damit man weiß, dass es um das Fundamentalste geht, den Dies irae: Tag des Zorns, das Jüngste Gericht. Man beschäftige sich also bitte nicht mit Fragen psychologischer oder soziologischer Stimmigkeit.

 

Julian, der Drogen dealende Thaibox-Entrepreneur, sein Kinder fickender, dafür von einem erzürnten Vater massakrierter Bruder Billy, Crystal, ihr Monster von Mutter, die sich verstörend inbrünstig über die Schwanzlängen ihrer Söhne auslässt, und der rätselhafte Polizist Chang, der bevorzugt mit einem Kurzschwert für Gerechtigkeit jenseits aller Rechtsstaatlichkeit sorgt: Sie alle sind Chiffren, Schablonen, Archetypen. Überraschungen gibt es keine — dafür Bild für Bild und Klang für Klang neue ästhetische Sensationen.

 

Bestimmte Motive dürften »Drive«-erfahrenen Zuschauern bekannt vorkommen. So gibt es auch hier eine Szene, in der ein Psychopath in einem Zimmer voller Nutten malträtiert wird. Nur, in »Drive« wird flinker Art ein Hammer zum Einsatz gebracht, die Szene hat Stil, ist effizient und anmutig gelöst, wie man das bei intelligenten Genrekino erwartet; »Only God Forgives« geht jedoch zwei bis drei Schritte weiter Richtung Surrealismus: dank der somnambulen Langsamkeit der Szene, der ritualsinnigen Rigorosität und schieren Herrlichkeit ihrer visuellen Gestaltung sowie verschiedener verstörender Details.

 

»Only God Forgives« schaut man sich am Besten wie einen Avantgardefilm an, als eine Reflexion über Farben und deren Wirkung, darüber, was Töne unterschwellig bewirken, und wie man Räume und damit ein Gefühl von Stabilität konstruiert, nur um es Sekunden später zu zerschmettern. Traum und Wirklichkeit sind hier kaum zu unterscheiden, sämtliche Gestalten bewegen sich wie in Trance — als schwebten sie ihrer Bestimmung entgegen, was dem Ganzen einen Hauch von Melancholie verleiht.

 

Ungeheuer ist, was Winding Refn aus seinem Material herausholt: dieses Rot, das glitzert wie Eis und brennt wie eine chemisches Licht; dieses Schwarz, das undurchdringlich wirkt wie eine Wand, und doch ahnt man, dass Abgründe dahinter gähnen, dass vielleicht nur einen Schritt entfernt in der Finsternis ein kleiner Meister des Jüngsten Tages steht und seiner Stunde harrt.