Wenn die Ally mit dem William ...

Zwei große Premieren eröffneten die erste Saison des Kölner Schauspiels unter neuer Intendanz: Ola Mafaalani inszenierte Shakespeares »Othello«, Ingrid Lausund ihr neuestes Stück »Zuhause«. Alexander Haas über den sogenannten Neustart

Marc Günther dürfte auf seinem Intendantensitz während der Eröffnungspremiere im Schauspielhaus irgendwann ziemlich mulmig zu Mute geworden sein. Man saß schon an die eineinhalb Stunden in Ola Mafaalanis Inszenierung von Shakespeares »Othello«, als die Sache irgendwann nur noch auf der Stelle trat. Seit einer langen Weile dröhnte eine kakofone Endlos-Variation von Screamin’ Jay Hawkins’ »I put a spell on you« – das schon vorher als wildes Menetekel für Othellos sozusagen verhextes Eifersuchtsschicksal gesungen wurde. Gleichzeitig tobte auf der Bühne das Chaos, das Personal rannte verwirrt durch die Gegend, kopulierte oder führte eigentümliche Choreografien in Riesenpfützen auf (Bühne: André Joosten). Nur wusste man irgendwann nicht mehr wozu. Bis Othellos Leutnant, der depperte Cassio, einen Schuss abfeuerte, den Todesengel im Hintergrund traf, und ein Zuschauer rief: »Es werden immer die Falschen erschossen!« Wen hatte er bloß gemeint?

Die darauf folgenden Zwischenrufe wirkten zwar irgendwie erlösend, weil es so wenigstens mal wieder eine Abwechslung gab. Aber es waren biedere Werktreuebedürfnisse, die sich da Luft verschafften. Das Problem von Ola Mafaalanis planlos wirkendem »Othello«-Bilder-Text-Musik-Mix war aber eher eins der Ausführung, der Komposition.
Von Anfang an ist die Inszenierung unentschlossen. Die Regisseurin verlegt die Geschichte in eine Partygesellschaft mit 30er-Jahre-Stilanleihen. Desdemona (ein starker Neuzugang: Oda Pretzschner) weniger in ihr helles Kleidchen als in Perlenketten gehüllt, Othello (Markus John) als eine Abwandlung des »Paten«: heller Nadelstreifer mit Hut. Man quatscht, trinkt, zotet an der Bar. Das Leben ist cool. Besonders für den Spieler Jago (Sven Walser). Seinen selbstsüchtigen Plan – Kern des Dramas – legt er auch gegenüber Othello schon in dieser frühen Szene offen: Weil Othello lieber Cassio zum Leutnant haben will als Jago, und weil es eben den Spieltrieb befriedigt, will dieser »den Neger« in eine wahnsinnige Eifersucht auf Desdemona stürzen. Aber so wie Othello, bleibt auch der Zuschauer davon eher unberührt. Die Sache verliert sich im Partygeplapper.

Der verschenkte Einstieg spiegelt das ganze Problem der Aufführung. Mafaalani will, das merkt man ihrem Bildertheater im Verlauf an, die elementare Geschichte der Eifersucht (Othellos) erzählen. Entgegen dem Spielplanschwerpunkt »Eigenes vs. Fremdes« ist dieser »Othello« kein Drama etwa über die afrikanische Herkunft eines im Ausland lebenden Generals und der daraus resultierenden Probleme. Dazu nur Andeutungen. Aber auch der gewählte Eifersuchtsfokus bleibt unscharf, weil Mafaalani den dramatischen Konflikt der Tragödie aus dem Blick verliert: Jagos reine Bosheit, ihr perfides Spiel gegenüber Othellos Gutmütigkeit, die in blinde Raserei umschlägt. Markus John als ungeschminkter General spielt diese Charakterfärbungen mal ausgestellt schnoddrig, mal kindlich labil. Sven Walsers Jago bleibt dagegen blass. Mafaalanis Konzept, die Figur komplett ins äußerlich Große zu drehen, füllt er nicht: Jago der Musical-Entertainer, über Mikro und frontal ins Publikum.

Statt Konzentration wählt die 1968 in Damaskus geborene, in Deutschland aufgewachsene und in Holland arbeitende Regisseurin den umgekehrten Weg: Immer her mit allem, was drum herum passieren könnte, immer runter mit dem Bühnenregen, immer rein mit allen ins Wasserbecken, immer gut laut die Musik. Alles keine schlechten Mittel, aber wenn man zu viel davon nimmt... »In ›Othello‹ geht es um mehr als um Eifersucht«, heißt es im Programmheft. Mafaalani sucht den schwarzen Grund der Liebe, irgendeine wilde Fatalität. Dafür braucht sie Symbole: Wasser eben, wilde Körper, den erfundenen Todesengel. Das ist angesichts des Ausmaßes und der dunklen Sprache von Shakespeares Tragödie alles denkbar. Aber die Bühne ist eben nicht im Kopf.

Also guckt man vielleicht lieber »Ally McBeal«. Oder geht in die Halle Kalk, zur Saisoneröffnung Nummer Zwei: Ingrid Lausunds Uraufführungsinszenierung ihres eigenen Texts »Zuhause«. Weil das Theater dort ein bisschen wie Fernsehn ist, wie die Soaps und Serien um die mittelklassigen Mittdreißiger ohne festen Wohnsitz oder Partner. Ist schon O.K. bei Ikea.
Selbst dann, wenn die vielen schönen Angebote, wie man jetzt mal eben wohnen oder leben könnte – »optional« auch zusammen – manchem gleich noch den Ausraster mit in die neue Design-Stube bringen. Zum Beispiel dem »Mädchen mit dem Tisch und der Vase und dem Schrank und dem Mann« (Menschen definieren sich inzwischen eben gerne über Objekte). Anja Herden als sexuell Unausgefüllte macht daraus einen furios komischen Verzweiflungsmonolog mit schrägem Körper- und Stimmeinsatz. Fast meint man, sie wolle gleich auf die Kalker Zuschauertribüne losgehen. Dabei blättert sie bloß im neuesten Ikea-oder-sonst-was Katalog: Je mehr Angebote desto schlechter die Stimmung.
So geht es zu in Ingrid Lausunds Reigen aktueller Leben-heißt-Kaufen-Befindlichkeiten und deren Störungen. Lausunds Texte entstehen im engen Kontakt mit den Proben, parallel dazu und inspiriert davon. Was bei »Zuhause« heraus kam, ist eine lose Szenenfolge über die Frage ›Warum klingen Werbeslogans und Selbst- oder Stimmungsbeschreibungen heute eigentlich so verdammt ähnlich?‹ »Blues heißt der kleine Bruder von hip« sagt eben nicht nur jemand wie Ally, sondern auch der Möbelkatalog, den das Programmheft zitiert. Die zum thematisierten globalen Dorfdesign passende Bühne hat Beatrix von Pilgrin gleich mitgeliefert. Eine Art begehbarer Ikeakatalog aus verschiedenen Wohnparzellen, bestückt allerdings mit gegenüber den schwedischen Originalen für die Kunst verfremdeten Bieder-Varianten.

Die Inszenierung reiht ein kleines sympathisches oder auch fies beäugtes Schicksalchen an das andere. So wie Ulrike Schwab zum Beispiel ihren »Die Frau mit der Tasse«-Monolog spielt, könnte das fast aus einer jener schön-wahren Serien sein: Was macht ein femininer Single, wenn Krise angesagt ist? Sie kauft sich glücklich. »Das gönn’ ich mir jetzt. Und das ist kein Frustkauf!« Funktioniert natürlich nicht. Ist auch nur eine schöne Seifenblase. Oder? »Das ergibt sich schon«, sagt sie mit Tränen in den Augen, »und das Wichtigste ist ja, dass ich in mir daheim bin.« Wer hätte sich nicht schon mal selber so oder ähnlich die Welt zurecht geredet.

Bei so viel lightem Wirklichkeitsblick ist distanziertere Kritik der bald auch schon wieder sprichwörtlichen ›Durchökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche‹ weder vom Text noch von der Inszenierung erwünscht. Anders als bei René Pollesch, dessen Themen ähnliche sind, geht es bei Lausund nicht um explizite Politik. Auch wollen diese Darsteller in den meisten Fällen ihren Figuren zu einer Identität verhelfen. Das Ganze hat außerdem manche Längebeule, vieles von Comedy, und wo Doppelbödigkeit aufscheint, ist sie aus der Konfrontation von neuen und alten Wertvorstellungen gewonnen, findet also nicht innerhalb der dargestellten Welt statt: Wenn Susanne Barth als alternde Frau zum großen Verführungsmonolog anhebt, hört es sich an, als wär’ der Text von Yazmina Reza. Und auch nicht jeder Situationswitz gelingt, wenn das Prinzip seiner prompten Kommentierung zu oft angewendet wird: »So, das ist jetzt ‘ne Pause«. Hat aber keiner gelacht.

Die erzählten Geschichten wie die Theaterästhetiken liegen in den beiden Eröffnungsinszenierungen unter neuer Leitung weit auseinander. Marc Günther, das beweist nicht bloß sein Spielplan, mag es bunt. So bunt wie die ironisch die Kinowerbung zitierenden Stückplakate über’m Schauspieleingang. Kommt nur alle rein! Immerhin: nicht die alte Kunst-Leier. Vielleicht drückt aber auch noch mal jemand die Programmtaste.

»Othello« von William Shakespeare, Regie: Ola Mafaalani, Schauspielhaus, 29.11., 3., 9., 18., 20., 21., 27., 28.12., 19.30 Uhr. »Zuhause«, Text/Regie: Ingrid Lausund, Halle Kalk, 26.-28.12., 19.30 Uhr.