Pippi Langstrumpf der Proktologie

Charlotte Roche resozialisiert: Feuchtgebiete von David Wnendt

Hämorrhoiden, Bremsstreifen, Analverkehr: Charlotte Roches »Feuchtgebiete« wurde vom Feuilleton wahlweise als Befreiungsschlag wider den keimfrei gepflegten Mädchenkörper gefeiert oder als postpubertäre Provokationsprosa belächelt. Der Verkaufserfolg machte eine Verfilmung in der Marktlogik unausweichlich. Doch die Geschichte der 18-jährigen Schülerin Helen Memel, die nach einer verunglückten Intimrasur im Krankenhausbett über Masturbationstechniken, Körpersekrete und die mögliche Wiedervereinigung ihrer geschiedenen Eltern räsoniert, bietet zwar ausreichend Diskussionsstoff, aber die introspektive Erzählhaltung und Handlungsarmut des Buches riefen nicht unbedingt nach der großen Leinwand.

 

Herausgekommen ist eine Adaption, die Lehrstoff an Filmhochschulen werden könnte: als Exempel für die Fallen von Literaturverfilmungen. Schon die Verlagerung der Introspektion in den Off-Monolog ist so unoriginell wie unvermeidlich. Weil den Drehbuchautoren David Wnendt und Claus Falkenberg das auf Dauer zu unelegant erschien, kamen sie auf die vermeintlich glorreiche Idee, Helen die Gedanken einfach in den Mund zu legen. Dass dadurch die Figur die Grenze zur Unglaubwürdigkeit endgültig überschreitet, wurde entweder übersehen oder als Kollateralschaden verbucht: Die naiv verschmitzte Guerillakämpferin gegen weibliche Waschpflicht verwandelt sich in eine Pippi Langstrumpf der Proktologie. Wie unter Wiederholungszwang beglückt sie ihre Umgebung mit Details über Schamlippenlängen und bringt bei jeder Gelegenheit ihre Sekret-Storys zum Besten.

 

Überhaupt interessiert sich der Film nicht für die aufklärerische Agenda der Vorlage, sondern die saftigen Anekdoten. Zielsicher werden die Stärken des Buchs über Bord geworfen und dessen Schwächen potenziert. Dessen robuste Komik kippt in pennälerhaften Klaumauk: Unterleibshumor amerikanischer Prägung, der zivilisationsbedingte Verklemmtheit nicht unterwandert, sondern kompensatorisch bedient. Thea Dorns Auslassung, dass sich hinterm Tabubruch der »Feuchtgebiete« Biederkeit verstecke, wird zumindest vom Film bestätigt. In seiner angestrengten Anarchoattitüde erinnert er an den Klassenstreber, der sich an Karneval als Straßenpunk verkleidet.

 

Gegen Ende besinnt er sich endgültig auf seine spießbürgerlichen Werte und verrät die Heldin an die Küchenpsychologie. Was bei Roche noch Andeutung blieb, wird melodramatisch ausbuchstabiert: In jeder großen Provokateurin steckt ein trauriges kleines Mädchen, das von Vati und Mutti vernachlässigt wurde. Effektiver lässt sich Subversivität nicht abklemmen und ein ungezogenes Mädchen resozialisieren.