Unter dem Nabel der Welt

Auch wenn die Art Cologne gerade wieder Köln zum »Artpole of the World« hochjubelte, so hat die selbsternannte Kunstmetropole ein offensichtliches Problem an der Basis: Seit anderthalb Jahren gibt es ein Förderkonzept, doch der Ateliernotstand hält an. Ein Krisenbericht von Christel Wester

Es gibt eine ganze Reihe eherner kölscher Glaubenssätze. »Et bliev wie et is«, lautet einer. »Et hätt noch immer joot jejange« ein anderer. Die Kulturbeauftragten der Stadt Köln scheinen beiden Sätzen ihr felsenfestes Vertrauen zu schenken. Die Rede von der Krise, sagt Jürgen Nordt, der Leiter des Kulturamtes, »habe ich in 16 Jahren schon so oft gehört, dass man eigentlich jährlich vom Untergang der Kunststadt Köln hätte sprechen können. Das ist nicht eingetreten«. Gleichwohl gibt er zu, dass Köln mit einer Atelierkrise zu kämpfen hat. Dabei übt er sich jedoch in Optimismus: »Krisen haben auch immer etwas Positives, denn man muss die Herausforderungen dann annehmen, wenn sie wirklich da stehen.«

Wenn man Pech hat, kann es dann aber auch zu spät sein. Ob Köln noch ein attraktiver Arbeitsplatz für Künstler ist, das sei eine Frage, die er sich selbst oft stelle, sagt der Bildhauer Thomas Rentmeister: »Ich habe letztens einen jungen Künstler kennengelernt, der wieder – statt nach Berlin – bewusst nach Köln gegangen ist. Und ich habe mich sehr darüber gefreut. Die jungen Künstler gehen sonst alle nach Berlin, und die Künstlerschaft in Köln – ich muss mich leider mittlerweile selber auch dazu zählen – vergreist ein wenig, habe ich den Eindruck.« Wenn einer mit gerade mal 38 von Vergreisung redet, mag das ein wenig kokett klingen. Aber Thomas Rentmeister ist in der Kunstszene inzwischen etabliert. Seine Skulpturen haben bereits Museumswürden erlangt und derzeit hat Rentmeister eine Gastprofessorenstelle an der Berliner Kunstakademie inne. Trotzdem will er in Köln bleiben – allerdings aus überwiegend privaten Gründen, wie er betont. Denn seine Lage hier sieht nicht rosig aus. Thomas Rentmeister bangt seit geraumer Zeit um sein Atelier. Dieses Problem teilt er mit einer ganzen Reihe von Kollegen.

Bereits seit zwei Jahren ist die Lage brisant. Während Anfang der 90er Jahre Künstler beliebte Mieter in stillgelegten Industrieanlagen waren, so sind diese Areale mittlerweile für Investoren lukrativ: Medien- und Dienstleistungsgewerbe, Immobilien- und Wohnungsbaugesellschaften kaufen kräftig ein. Danach hagelt es Kündigungen für die Künstler, die die leerstehenden Fabrikhallen zu Atelierhäusern umgebaut haben. »Wir retten im Prinzip Architektur«, sagt der Maler Bernd Ikemann, »wir schützen sie und machen sie als Immobilie interessant, und dann sind wir mehr oder weniger nicht mehr erwünscht und sollen sozusagen weitergeschoben werden.«

Wie Rentmeister hat auch Ikemann sein Atelier auf dem ehemaligen Sidol-Gelände an der Eupener Straße in Braunsfeld. Als das Areal im Herbst 2000 vom Henkel-Konzern an die Lammerting Immobilien Gruppe verkauft wurde, schickte Henkel den rund 60 hier ansässigen Künstlern zunächst sehr kurzfristig die Kündigung und anschließend eine Räumungsklage ins Haus. Dass nicht nur Existenzen auf dem Spiel standen, sondern auch das Image der Kunststadt, begriffen nun auch Kölns Kulturpolitiker. Krisenmanagement war angesagt. Denn an zwei weiteren Atelierstandorten sah die Lage ähnlich düster aus. Das ehemalige Ausbesserungswerk der Bundesbahn in Nippes und das KHD-Gelände in Deutz waren im selben Jahr verkauft worden. Mit den neuen Investoren änderten sich die Nutzungspläne für die Gebiete. Tatsächlich nahmen Kulturdezernat und Politiker eine Vermittlerrolle zwischen Künstlern und Investoren ein. In langwierigen Verhandlungen rang man um Mietfristverlängerungen und Kompromisse.

Das Ringen hält an. Einzig in Deutz bahnt sich eine langfristige, allerdings abgespeckte Lösung an. Der geplante Kauf des gesamten Hallenkomplexes, zu dem auch Veranstaltungsorte wie das Gebäude 9 zählen, ist gescheitert. Aber der Besitzer, die Immobiliengesellschaft der Stadtsparkasse SK Corpus, machte den Künstlern das Angebot, einen Gebäudeteil in Erbpacht zu übernehmen. Derzeit wird über Vertragsdauer und Mietzins verhandelt. Auf dem ehemaligen Sidol-Gelände hingegen laufen die Mietverträge zum Jahresende erneut aus. Inzwischen ist zwar ein Drittel der Künstler abgewandert, aber immer noch gibt es hier knapp 40 Ateliers. Anscheinend hat Lammerting sein Nutzungskonzept für das Gelände noch nicht festgelegt und will sich alle Optionen offen halten. Also wird kräftig gefeilscht. Dabei stehen ihm die Künstler, die er schließlich mit befristeten Mietverträgen leicht auf Distanz halten kann, weniger im Wege als leidige Denkmalschutzbestimmungen. Und so setzt er ein völlig übertriebenes Sanierungskonzept als Druckmittel ein, das die anschließenden Mieten in unerschwingliche Höhen treiben würde. »Die einzige verbliebene Chance zur Rettung der Ateliers auf dem Sidol-Gelände sehen wir darin«, heißt es in einem Brief an die Künstler, der in Kopie ebenfalls an Vertreter der Stadt ging, »dass die Gebäude nicht unter Denkmalschutz gestellt werden«. Dann allerdings stünde langfristig nicht nur ein wichtiges Künstlerzentrum auf dem Spiel, sondern auch ein wertvolles Architekturensemble aus den 20er Jahren.

Kulturamtsleiter Nordt versichert indessen, dass der Denkmalschutz nicht in die Verhandlungsmasse aufgenommen wird. Dagegen sprechen ja auch die Gesetze. Entsprechenden Schutz für soziokulturelle Strukturen, die über Jahre gewachsen sind und in denen sich ein enormes kreatives Potenzial entwickelt hat, gibt es dagegen nicht. Das beweist die Situation am Ausbesserungswerk in Nippes. Hier hatte der Stadtentwicklungsausschuss vor Jahren einen Bebauungsplan beschlossen, der den hier entstandenen Verbund von Ateliers, Kleingewerbe, sozialen und kulturellen Initiativen erhalten sollte. Dieser Beschluss steht jetzt zur Disposition, wobei die Strukturen über den langwierigen Verhandlungen ohnehin bereits zerbrochen und die Initiativen abgewandert sind. Den rund 25 Künstlern, die hier noch arbeiten, wurde ein Umzug in ein Ersatzgebäude an der Longericher Straße in Aussicht gestellt, das die Künstler zunächst kaufen wollten. Die Kaufverhandlungen scheiterten an den Preiserwartungen der Entwicklungsgesellschaft Nippes, die beide Gelände besitzt. Inzwischen hat der Investor der Stadt Köln einen Grundstückstausch angeboten: das Gelände an der Longericher Straße gegen ein städtisches Areal, mit dem er freier disponieren kann. Die Lagerhalle an der Longericher Straße könnte die Stadt dann zu dem geplanten Atelierhaus mit etwa 60 Einheiten umbauen lassen und an die Künstler vermieten.

Mit einer derartigen Lösung könnte die Stadt nun endlich die Ernsthaftigkeit ihres vor anderthalb Jahren beschlossenen Atelierförderkonzeptes unter Beweis stellen. Schließlich sollen 120 neue Ateliers geschaffen werden – ein Ziel, für das man weder einen Finanz-, noch einen Zeitrahmen festlegte, und von dem man mit gerade mal 24 Räumen noch ziemlich weit entfernt ist. Doch die Zeit drängt. Auch die Clouth-Werke in Nippes stehen zum Verkauf. Hier arbeiten über 60 Künstler, die fürchten, in Kürze in einer ebenso desolaten Lage zu sein, wie ihre Kollegen an der Eupener Straße. »Man darf bei einer Zwischennutzung nicht davon ausgehen, dass sie auf Dauer trägt«, weiß inzwischen auch Nordt nach langem Dornröschenschlaf. »Wir haben durch unsere Vermittlung ja viele Zwischennutzungen möglich gemacht, die über Jahre stabil waren. In der Tat müssen wir neue Wege und Alternativstandorte suchen. Und da sind wir dran, da muss Köln auch mehr tun.«
An guten Willensbekundungen fehlt es denn auch nicht. Aber wenn neugeschaffene städtische Ateliers wie in der Lotharstraße in Sülz zehn Euro pro Quadratmeter kosten sollen, bleibt so manchem Künstler der Atem stocken – zumal nicht wenige großformatig arbeiten und einen hohen Platzbedarf haben. Wie Thomas Rentmeister zum Beispiel, der sich eine derartige Miete nicht leisten könnte. Vom Nachwuchs wollen wir ganz schweigen. Denn der zieht ja nach Berlin.

Künstlerzentrum Braunsfeld im Netz:
www.eupener-strasse.de