Urlaub von der eigenen Biographie

Der Künstler Jan Holtmann und die Regisseurin Philine Velhagen machen aus der ganzen Stadt ein Hotel für Kölner

Um den Tennisplatz entlang der Flaniermeile im Kölner Grüngürtel tummeln sich rund vierzig Menschen. Einige von ihnen üben in der Abendsonne engagiert mit Trainer Torsten ihre Vor- und Rückhand. Andere machen Yoga. An einer Bar lässt es sich ganz entspannt den Cocktail »My home is my Castle« schlürfen. Später spielt eine griechische Band Live-Musik, zu der getanzt wird. Es ist eine Einweihungsparty. Die Sportanlage gehört nun zum HOTEL Köln, ein charmant absurdes Theaterprojekt von Drama Köln.

 

Zwölf Tage lang können ab Ende August alle Kölnerinnen und Kölner ihre eigene Stadt besuchen und dort übernachten. Dafür stellt jeder Gast seine eigene Wohnung als temporäres Hotelzimmer zur Verfügung. Zimmer und Suiten liegen über die ganze Stadt verteilt. Bevor jedoch das Hotel mit seiner 24-Stunden-Rezeption für seine Gäste da ist, eröffnen seine Vorboten. Nach dem Park mit ­Tennisplatz und Friseursalon werden noch die HOTEL Yacht und der Wellnessbereich eingeweiht. An­gedockt ist immer eine mobile Bar, denn das HOTEL Köln sei instabil, lückenhaft und beweglich, wie seine Erfinder Philine Velhagen und Jan Holtmann bei der Eröffnungsrede übers Megafon verkünden. Holtmann, der in Hamburg mit seiner noroomgallery künstlerisch sehr stark mit Präsentations­formen arbeitet, war letztes Jahr mit der Idee im Rahmen der Sommerreihe »Wer ist denn schon bei sich zuhause?« von Drama Köln auf die Regisseurin zugekommen. Gemeinsam haben sie HOTEL Köln als Fortsetzung entwickelt — um mit Mitteln der Kunst den Alltag zu stören.

 

Frau Velhagen, was unterscheidet das HOTEL Köln von einem ­herkömmlichen Beherbergungsbetrieb?

 

Eigentlich zeichnet sich ein Hotel dadurch aus, dass man ein anonymes Zimmer hat, obwohl man Dinge wieder erkennt. Man weiß, da ist das Bett oder Bad. Im HOTEL Köln sind die Räume belebt. Es ist ganz deutlich spürbar, dass hier jemand zuhause ist. Man sieht Spuren.

 

Unterwegs in fremden Betten, den Effekt kennt man auch von Social-Travelling-Portalen wie  Couchsurfing. Sie behaupten HOTEL Köln aber als theatrales Ereignis. Was macht den Unterschied aus?

 

Mich reizt das Theater als Vokabular, dieses Denken »als ob«. Das ist die Verabredung, dass Schauspieler und Zuschauer so tun, als ob das auf der Bühne zum Beispiel ein Schiff im Sturm sei. Wir tun jetzt so, als ob die ganze Stadt ein Hotel sei.

 

Was bedeutet das für die Zuschauer und Teilnehmer?

 

Wir laden sie ein, von ihrer Biografie Urlaub zu machen. Man verlässt den eigenen Alltag in der eigenen Stadt. Das ist für mich der Moment, der es absurd und zu Kunst macht. Anders als solche Portale sind wir nicht nur im Netz. Unsere Rezeption in der Innenstadt ist von 9 Uhr bis durchgehend 24 Uhr geöffnet. Sie ist keine schnelle, glatte Dienstleistung, sondern ein Angebot an die Gäste, sich über ihre Erlebnisse und die Stadt auszutauschen.

 

Wie wird man Gast im HOTEL Köln?

 

Man kann spontan teilnehmen oder vorher bei uns telefonisch oder online in der Zeit vom 28. August bis zum 9. September ein Zimmer reservieren. Das wiederum kann der Gast wechseln, wenn er zum Beispiel so viele Stadtteile wie möglich kennen­lernen möchte. Für jeden Wohnungswechsel gibt es einen Stern. Bei uns bekommen die Gäste die Sterne.

 

Kann man sich das Zimmer aussuchen?

 

Man kann Wünsche äußern, aber wir werden den Gast nicht in dem Stadtteil unterbringen, in dem er sowieso schon wohnt. Im besten Fall ergibt sich für ihn nach seinem Aufenthalt eine neue Psycho-Geographie, die seinen mentalen Stadtplan für Köln verändert.

 

Das klingt nach experimenteller Forschung. Man wird sicherlich trefflich diskutieren können, ob HOTEL Köln noch unter einen erweiterten Theaterbegriff fällt oder mehr eine soziale Installation ist.

 

Ja (lacht), die Diskussion findet jetzt schon statt. Der Dramaturg Carl Hegemann fand unser Projekt spannend und hatte es mit dem Intendanten des Thalia ­Theaters in Hamburg diskutiert. Die beiden haben dann beschlossen, HOTEL Köln sei kein Theater. Jan und ich wollen jetzt von ihm wissen, was denn Theater sei. Wir möchten darüber in einer kleiner Reihe als Begleitung zu HOTEL Köln einen Diskurs anfangen. Dazu haben wir Herrn Hegemann eingeladen, einen Biologen angefragt, ob Vögel untereinander ihre Nester tauschen und der Fiktions-Experte und Psychologe Friedrich W. Heubach wird kommen.

 

Wenn man an Ihre letzten Arbeiten mit Drama Köln denkt und jetzt an HOTEL Köln, kann es sein, dass sich Ihre Arbeitsweise immer mehr von einer klassischen Regiearbeit entfernt?

 

Ja. Es gibt immer wieder so ein gewisses Unwohlsein gegenüber einem fertigen Text, den man einstudiert und vorführt.

 

Werden Sie wieder mit litera­rischen Texten arbeiten?

 

Das möchte ich zumindest nicht ausschließen. Ich schätze Texte sehr. Sie bringen in der Aufführung einfach eine andere Qualität, als eine Performance, die man ad hoc ­entwickelt. Im öffentlichen Raum, in dem wir unsere Arbeiten ansiedeln, brauchen künstlerische Projekte aber etwas, was einer Versuchsanordnung gleicht, offener ist. Das ist eine ganz andere Welt als diese Innere, die man im Pro­beraum für die Bühne erschafft.

 

Infos auf drama-koeln.de, Reservierungen unter info@hotelkoelneinestadtbesuchtsichselbst.de oder Tel. 9?41?46?09