Ein bisschen Angst machen

Die Moschee in Elsdorf bei Bergheim war 2001 Ziel eines Brandanschlags jugendlicher Neonazis. Ein Präventionsprojekt der Kölner Polizei soll verhindern, dass Jugendliche aus dem neonazistischen Umfeld ebenfalls zu Überzeugungstätern werden. Marion Menne hat die Beamten bei ihren Überraschungsbesuchen begleitet.

Die Clown-Puppe im Heck des grauen VW-Passat lacht. Zur Tarnung montieren die PolizistInnen manchmal auch Kindersitze auf die Rückbank. Die Nachbarn müssen ja nicht gleich wissen, dass es der Staatsschutz ist, der in der Straße parkt und einen unangemeldeten, unangenehmen Besuch abstatten wird.

 

15.55 Uhr, fünf Autos mit je zwei PolizistInnen in Zivil schwärmen von Köln in den ländlichen Erftkreis aus. Neun Jungs und fünf Mädchen stehen an diesem Novembertag auf der Liste. Ihnen allen wird nichts Konkretes vorgeworfen, aber sie zählen zum diffusen Umfeld einer Clique, die unter anderem Karfreitag 2001 auf die Moschee in Elsdorf-Esch bei Bergheim einen Brandanschlag verübte.

 

Kriminaloberkommissar Hubertus Siminski, der am Steuer des VW sitzt, kennt den harten Kern des rechtsextremen Trupps. Der 49-Jährige kam den fünf Tätern damals auf die Spur. Sie hatten sich bei einem Kumpel getroffen, ordentlich gesoffen und irgendwann die Idee gehabt, die Moschee »abzufackeln«. Die selbst gebastelten Wurfgeschosse schleuderten sie vor die Moschee, Fenster wurden zum Glück nicht getroffen.

 

Der Anschlag war die schwer wiegendste Straftat der Jugendlichen. Immer wieder fallen sie jedoch durch ausländerfeindliche Parolen auf. Zuletzt bei einem Trinkgelage in einem Park in Buir, bei dem die Polizei auch von den Umstehenden die Personalien aufnahm. Mit dabei waren die neun Jungen und fünf Mädchen, denen nun ein Besuch der Kriminalkommissare aus Köln bevorsteht.

 

»Ich kenne sie nicht und will wissen, ob sie Mitläufer sind oder ideologisch gefestigt«, erzählt Siminski, »teilweise wollen wir ihnen auch ein bisschen Angst machen.« Es sei ja nicht angenehm, wenn die Polizei erscheine. Klärende Gespräche, am besten auch mit den Eltern, sollen verhindern, dass die gefährdeten Jugendlichen aus dem Umfeld in die Szene abrutschen.

Das Polizei-Duo braucht sich nicht vorzustellen, man kennt sich.

»Präventionsgespräche-Rechts« heißen diese Hausbesuche bei der Unterabteilung Staatsschutz des Polizeipräsidiums Köln. Seit 1995 werden sie neben der herkömmlichen Ermittlungsarbeit unternommen, bisher 300 an der Zahl. 95 Prozent der aufgesuchten Jugendlichen seien nicht mehr auffällig geworden, berichtet der Leiter des Teams, Kriminalhauptkommissar Peter Nillius.

 

»Nicht auffällig« heißt, dass keine Aufnahme der Personalien im Umfeld von Rechtsextremen und keine politisch motivierten Straftaten vorliegen. Es schließt jedoch nicht aus, dass die Jugendlichen trotzdem – unauffällig – neonazistische Gesinnungen pflegen. Diese Art polizeilicher Präventionsarbeit ist in NRW einmalig. Weil die Erfolgsquote so gut ist, hat sich seit Anfang Oktober ein fünfköpfiges Team darauf spezialisiert.

 

Siminski und seine Kollegin Natalie Luckau, eine 29-jährige Kriminalkommissarin, haben ein Mädchen und zwei Jungen auf ihrer Liste. Das Mädchen ist die Freundin des Anführers der rechten Gruppe. Der »Rädelsführer« selbst öffnet die Haustür. Das Polizei-Duo braucht sich nicht vorzustellen, man kennt sich. Die Freundin arbeitet, er ist allein im Haus, von oben kläfft der Pitbull. Der 18-Jährige sitzt in olivgrüner Tarnhose am Küchentisch und redet nur, wenn er gefragt wird. Manchmal lächelt er das nette Lächeln eines schüchternen Jugendlichen. Manchmal hält er starren Blickkontakt.

 

Zum Beispiel, wenn er über seine Einstellung zu Ausländern und Homosexuellen spricht. »Scheiß Türken, scheiß Schwarze, scheiß Schwule werde ich immer sagen«, meint er trotzig, und Siminski erwidert in väterlichem Ton, die Gedanken seien frei, aber er müsse mit den Straftaten aufhören – Körperverletzungen, »Sieg Heil«-Rufe. Sonst verbaue er sich doch auch seine Berufschancen. »Ich verbaue mir nichts, mein Chef ist genauso drauf«, entgegnet er. Zurzeit arbeitet er auf einem Friedhof als Totengräber.

»Der 18-Jährige grinst: Ich bereue ziemlich wenig, was ich gemacht habe.«

Das Dritte Reich interessiere ihn nicht, nur das, was heute und morgen ist. Die »Sieg Heil«-Rufe seien einfach als Provokation gegen Linke gedacht. Und die Schläge und Tritte gegen den Mann auf der CDU-Freibierparty neulich? Der Typ habe seinen Bruder beleidigt, antwortet er aufgebracht. Er habe ihm dann eine reingeschlagen und auf ihn losgetreten, als der andere am Boden lag, »ins Gesicht, in die Rippen, egal wohin.«

 

Für den Anschlag auf die Moschee bekam er zwei Jahre auf Bewährung, 20 Sozialstunden und ein soziales Training. Ob er bereut? Der 18-Jährige grinst und schaut zögernd die Beamten an: »Ich bereue ziemlich wenig, was ich gemacht habe.« Für Präventionsarbeit ist es hier zu spät. »Bei ihm bringt nur eine Psychotherapie etwas, aber da muss er selbst mitmachen«, meint Siminski später im Auto. Es sei schon erschreckend: »Den Mann auf der Freibierparty hätte er genauso gut tottreten können.« Natalie Luckau sagt nur: »Bei dem ist Hopfen und Malz verloren.«

 

Siminski und Luckau haben bei ihrem zweiten Besuch mehr Glück. Als sie aus dem Auto steigen und auf das Haus zugehen, erscheint der Vater auf dem Balkon und fragt, ob sie etwas suchen. Dass ein Polizeitrupp unterwegs ist, hat sich offenbar in der Clique herumgesprochen. Siminski stellt sich höflich vor. Im Wohnzimmer sitzt der Sohn der Familie in Jogginghose und Pitbull-T-Shirt und schaut die meiste Zeit stumm auf den flackernden Fernsehbildschirm.

 

Hubertus Siminski beginnt. Der Sohn sei in Buir im Park gesehen worden, mit Leuten, die eine ziemlich rechte Einstellung haben. Dass der Junge dort war und die Polizei seine Personalien aufgenommen hat, das wusste der Vater. »Wir haben keine Geheimnisse«, meint er und findet es richtig, dass die Beamten der Sache nachgehen.

 

Aber dass sein Junge auch Parolen brüllt? »Hab’ ich nicht«, verteidigt sich der 17-Jährige schnell und erzählt die Geschichte aus seiner Sicht. Eine Freundin seiner damaligen Freundin kannte jemanden »von denen«, und so gingen sie halt auch in den Park. Aber sie saßen weiter weg. Von dem, was die anderen grölten, habe er nur »Hitler« verstanden und »irgendwas mit Türken«.

Nur zwei Mal wurde ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Als Siminski berichtet, ein Teil der Leute sei am Brandanschlag von Elsdorf beteiligt gewesen, reagiert der Vater geschockt. »Das ist das Erste, was ich höre! Das sind doch Pänz – Kinder!« Siminski sagt nicht, dass die Freundin der Ex-Freundin des Sohnes auch dabei war. Das kann er wegen des Datenschutzes nicht.

 

Mehrmals bedankt sich der Vater, Polizist beim Bundesgrenzschutz, und verspricht: »Wir werden ein Auge drauf haben.« Die Mutter wiederholt, dass ihr Junge in einer ganz anderen Clique sei, mit FC-Fans. Außerdem achte sie auch darauf, dass er nicht erst morgens früh nach Hause komme. Siminski versucht sie zu beruhigen, sie müsse ihren Sohn jetzt nicht einsperren, wenn er aus der Schule komme. Feiern gehöre ja auch zum Erwachsenwerden dazu. Am Ende verabschieden sich die beiden Beamten aus Köln: »Wir wollten nur sensibilisieren, ich hoffe, das ist geschehen.« In ein paar Wochen werden sie noch einmal anrufen, um sich nach dem Fortgang der Geschichte zu erkundigen.

 

19.30 Uhr, zurück zum Präsidium. Den zweiten Jungen auf der Liste haben KollegInnen schon bei einem anderen angetroffen. Mission erfüllt? Siminski glaubt ja, jedenfalls im Fall des 17-Jährigen von eben: »Wenn er mit dem Gedanken gespielt hat, sich zu engagieren, ist er jetzt kuriert.«

 

Der Kriminalbeamte ist seit 25 Jahren Polizist und zehn Jahre im Staatsschutz. Besuche wie diese hat er schon etliche gemacht. Immer sei es ähnlich gelaufen wie gerade. Nur zwei Mal wurde ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Ein Lehrer aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis behauptete, sein Sohn sei nicht gefährdet, obwohl Siminski wusste, dass er da falsch lag. Und ein Elternpaar wies ihn ab mit den Worten, ihnen gefalle es auch nicht, dass der Sohn in der JN (Junge Nationaldemokraten, Jugendorganisation der NPD) sei, sie seien nämlich in der DVU (Deutsche Volksunion).

INFOS
Nach der jüngsten Statistik des Verfassungsschutzes ist die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten in der BRD von 9.700 (2000) auf 10.400 (2001) gestiegen. Ihnen wurden mehr als 10.000 Straftaten zur Last gelegt, darunter über 700 Gewalttaten. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr bundesweit 49.700 Rechtsextremisten – darunter gefasst werden Parteien wie die NPD bis hin zur Skinhead-Musikszene –, im Jahr 2000 waren es 50.900.
In NRW registrierte der Innenminister im Zwischenbericht 2002 eine annähernd gleich bleibende Zahl der Gewaltdelikte. Im ersten Halbjahr wurden u.a. 51 Körperverletzungen und 163 volksverhetzende Taten durch Rechtsextremisten verzeichnet.