»Kunstrezension«

Der 1941 in Düsseldorf geborene Hans-Peter Feldmann ironisiert den Mythos des genialen Künstlers, macht schöne Bücher, viele Ausstellungen und gilt als interviewfeindlich. Kerstin Stremmel traf sich mit ihm anlässlich seiner umfangreichen »Kunstausstellung« im Museum Ludwig.

 

Eine große Zeitspanne wird in der retrospektiv angelegten Ausstellung erfasst. Sie setzt 1968 ein, zu dem Zeitpunkt, als Feldmanns erste »Hefte« erschienen: kleinformatige Broschüren im grauen Pappeinband mit im Offsetverfahren abgedruckten Schwarz-Weiß-Fotografien. Die Zusammenstellungen zeigen ausgewählte Sujets: fünf ungemachte Betten, elf Kniepaare oder zwölf schneebedeckte Berge. Diese Kompilationen zeichnet bereits jenes demokratische Verständnis vom Bild aus, das Feldmann seither in die Kunstwelt integriert hat. Reproduktionen von vorgefundenem Fotomaterial aus Zeitschriften oder Familienalben kombiniert er mit Selbstfotografiertem. »Es gibt kaum noch Gründe, neue Fotos zu machen. Wenn man eins braucht, sucht und findet man es bestimmt in Archiven.« Ästhetische Kriterien fotografischen Materials spielen dabei keine große Rolle, gemäß Réné Clairs Zitat im schlicht »272 Pages« genannten Katalog zur Ausstellung: »Es müssen nicht immer Meisterwerke sein.«
Insgesamt 37 dieser unprätentiösen Booklets in Tausenderauflage sind bis 1976 erschienen und machten Feldmann zur »heimlichen Kultfigur konzeptueller Kunst in Deutschland«. Neben den titellosen Bilderkompilationen hat er zahlreiche Projekte erarbeitet, die Bilder kontextualisieren und in der »Kunstausstellung« ebenfalls dokumentiert werden. Einige der wichtigen Aktionen sind mit Köln verknüpft, einer Stadt, der er unter anderem wegen der frühen Pop-Art im Museum Ludwig und Walther Königs Bücherparadies verbunden ist. So bestand seine Ausstellung bei Paul Maenz im Jahr 1974 darin, den Verteiler der Galerie ein Jahr lang mit einer Postkarte aus einem Reformhauskalender zu beschicken; jeder Adressat bekam allerdings nur elf der zwölf Karten, was den Vollständigkeitswahn der Sammler trefflich torpedierte. In jener Zeit schickte Feldmann an Bekannte aus der Kunstwelt pornografische Fotos, auf denen er selbst agiert. Im begleitenden Brief erklärt er, dass er sich schäme seine sexuellen Praktiken auszustellen.
Feldmann hat immer Lust an Irritationen gehabt, Kunst als Konsumware thematisiert und die Möglichkeiten genutzt, Vorbehalte gegenüber dem Kunstbetrieb spielerisch zu formulieren. Seine Unabhängigkeit hat er sich bewahrt, indem er ganz anderen als künstlerischen Tätigkeiten nachging. Dazu gehört die Produktion und Vermarktung von Blechspielzeugen oder ein Versandladen für Fingerhüte. Mit der Produktion seiner Hefte hörte er auf, weil ihm zu viele Menschen sagten, wie schön sie seien. Von 1980 bis 89 zog er sich aus dem Kunstgeschehen komplett zurück. Angefangen habe er dann doch wieder, weil ihm Kunst als Selbsttherapie diene. Eigentlich ein unpopulärer Ansatz, der an schrecklich langweilige Selbsterfahrungsversuche erinnert, dank Feldmanns Sinn für Humor und seinem sicheren Gefühl für Bildmaterial jedoch fern jeder Peinlichkeit. Sein jüngster Coup war das hellblaue, mit kurios-poetischen Exponaten angefüllte »Kinderzimmer« im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (bis September). Von Direktor Kittelmann wurde er als jemand bezeichnet, dessen Werk an sich schon kindgerecht sei. »Im Prinzip ja«, stimmt Feldmann zu, jedenfalls mache er gerne Dinge, die jeder sofort versteht.
Ebenfalls nur im Museumsraum ist möglich, was er speziell für die Kölner Ausstellung geplant hat. Neben einem Arrangement von 13 linken Schuhen von Museumsmitarbeitern, einer Inszenierung, die erneut mit der Definition von Kunst spielt und ein bisschen an des Kaisers neue Kleider erinnert, gibt es eine unmissverständlich ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Taburaum Gefängnis, das laut Feldmann ähnlich hermetisch wie der Museumsraum ist. Bildzeitungsleser sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass deutsche Gefängniszellen Zimmern in Luxushotels ähneln. Tatsächlich herrscht in vielen Justizvollzugsanstalten eine drastische Überbelegung, und so sind die drei Zellen aus Ossendorf, die Hans-Peter Feldmann im Museum originalgetreu rekonstruiert, mit acht Insassinnen unvorstellbar beengt. Nach langen Gesprächen mit Inhaftierten hat Feldmann seine Auswahl auf Frauen beschränkt. Sie stellen ihre Originalbilder, mit denen teils auch die vergitterten Fenster beklebt sind, für die »Kunstausstellung« zur Verfügung. Darunter viele Familienbilder, die während dieser Zeit durch Kopien ersetzt werden, damit die Gefangenen der Trostlosigkeit ihrer Umgebung nicht ohne ihre Erinnerungen an ein Leben davor und die Hoffnung an ein danach ausgesetzt sind.
Dass Feldmann seine Kunst zwar nicht vordergründig, aber dennoch politisch versteht, machte 1998 auch sein Band »Die Toten, 1967-1993« deutlich: Dort versammelte er nicht nur die Opfer der Gewalttaten der militanten Opposition, Staatsvertreter samt Chauffeuren und zufälligen Passanten, sondern auch die toten R.A.F.-Mitglieder und zeigt damit das ganze Ausmaß der Gewalteskalation. Auch seine Bearbeitung der österreichischen Zeitschrift Profil lässt sich als politisches Statement werten: Auf dem Titelblatt der Ausgabe vom 7. Februar 2000 waren Jörg Haider und Wolfgang Schüssel beim Ratifizieren des Koalitionsvertrages zu sehen, mit der zweideutigen Schlagzeile »Die Schande Europas« – dank Feldmann exisitiert eine verbesserte Version des Heftes, die zwar alle redaktionellen Bilder, jedoch keinen Buchstaben enthält.
Die Gefängnisinstallationen werden vermutlich der beeindruckendste Teil der Kölner Ausgabe einer Ausstellung sein, die von der Fundació Antoni Tàpies in Barcelona konzipiert wurde und bereits dort, in Paris und Winterthur zu sehen war. Eher beiläufig interessant ist die »Internetprojekt« genannte Präsentation von fünf Fotoserien unter www.
museum-ludwig.de. Die Bildzusammenstellungen, in den 70er Jahren von Feldmann als Bücher herausgegeben, laufen auf dem Computer in einer von ihm festgelegten Geschwindigkeit ab. Durchblättern per Hand macht mehr Spaß.
Auf die Frage, ob ihn die Bilderflut nicht beunruhige und er manchmal an Verweigerung denke, antwortet Feldmann: »Man sucht immer ein Bild, wenn man es fände, wäre es schade.« Zudem ist er davon überzeugt, dass es ihm gelingt, aus dem vielen etwas zu destillieren und damit etwas Neues zu machen, was neue Einsicht ermöglicht. Doch der Wunsch, etwas nie zu lange zu machen, wird vermutlich dazu führen, dass es auch von den derzeit mit Céline Duval herausgegebenen Cahiers d’images nicht mehr als zwölf geben wird. Das ist schade, denn die bislang entstandenen, etwa über das Fliegen oder die Farbe Rot, gehören zum Poetischsten, was man sich in unserer bildergesättigten Welt denken kann. Sie eröffnen einen Assoziationsraum, in dem eigene Erinnerungen verschlungene Wege gehen, und man nimmt sie immer wieder zur Hand. Allein das Titelbild von »flying«, der gealterte Jahrhunderttänzer Nijinski, der sich nach Jahren in der Psychiatrie noch einmal in die Luft schraubt und seinen schwer gewordenen Körper der Musik anvertraut, ist ein Glücksfall. Man kann über dieses Bild reden, sehr viel darüber schreiben, man kann es aber auch, wie Feldmann es tut, als Eingangsbild einer Fülle von Sprüngen ins Freie, in die Höhe und in den Tod nehmen. Deutlich wird an dieser grobkörnigen Schwarzweißfotografie noch einmal die Funktion, die das einzelne Bild für Feldmann hat: Nicht die Auratisierung interessiert ihn, sondern der Wahrheitsgehalt, der auch bei Verzicht auf den Kontext aufscheint. Dass Bilder gefälscht sein können, spielt in seinen Augen keine große Rolle.
Bewegte Amateurbilder werden parallel zur »Kunstausstellung« in einem offenen Videofilmwettbewerb prämiert; jeder kann bis 7. März Urlaubsfilme oder ähnliches »mit einer Geschichte« beim Museum einreichen. Eine tapfere Jury unter Vorsitz von Feldmann wird drei Gewinner ermitteln und ein Großteil der eingereichten Videos wird vom 21.3. bis 15.6. täglich in der Videolounge des Museums gezeigt. Sah sich der Galerist Maenz Mitte der 70er Jahre außerstande, auf Feldmanns Wunsch, dem ersten Künstler, der an einem bestimmten Tag die Galerie betritt, eine Ausstellung zu garantieren, so hat das Museum die Freiheit, Dilettantismus zu adeln. Es steht zu befürchten, dass das Resultat anregender und komplexer ist, als viele Kunstausstellungen ohne Anführungsstriche.

Museum Ludwig, Bischofsgartenstr. 1, di 10-20, mi-fr 10-18, sa-so 11-18 Uhr, bis 15.6.
Einsendungen für den Amateur-Wettbewerb bis 7.3. (z. Hdn. Marjorie Jongbloed).
Lesung (im Rahmen der lit.Cologne): »Die Frisur aus Wien – Hans-Peter Feldmanns Kunst-Geschichten«, gelesen von Museumsdirektor Kasper König und Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer, Museum Ludwig, 22.3., 15 Uhr.
Im Gespräch: Hans-Peter Feldmann & Kasper
König, 25.3., 19 Uhr, Kino im Museum Ludwig.