Bernd Wilberg

Aus dem Brot eine Tugend machen!

Nachtisch #15 - die Gastro-Kolumne

Die cucina italiana sei gepriesen, aber ist in den Großstadt-Bistros neben den aufgewärmten Panini, Ciabatte und Focacce wirklich kein Platz mehr für ein Butterbrot? Die Stulle gilt als Kost der kulinarisch Minderbemittelten, so falsch und dumm das auch ist. Dies führt zu der Kuriosität, dass man Brot mit Butter eher im Luxusrestaurant bekommt, als in den Take-away-Lokalen auf unseren Einkaufsmeilen. Allerdings ist die schlimmste Variante des traditionellen Brotkörbchens im Restaurant zugleich die meistverbreitete: geschmacksneutrale »Pizzabrötchen« in Begleitung von Schälchen mit dubioser »Kräuterbutter« – tolldreiste -Parodie italienischer Lebensart. Nicht der Appetit, sondern Langeweile und besinnungsloser Kohldampf lassen Menschen so etwas essen.

Aber ist nicht das Brotkörbchen der besseren Restaurants letztlich auch nur eine vorab gereichte Sättigungsbeilage? Stammt dieser Brauch nicht aus kargen Zeiten und kargen Gegenden? Rührt er nicht daher, dass Wirte die Wartezeit auf die warme Mahlzeit erträglicher machen wollten und zugleich die Fleischportionen klein -halten konnten, weil der Gast sich schon am Brot gütlich

getan hatte?

Das könnte den Brauch erklären. Doch wenn heute ehrgeizige Restaurants statt überkandidelter Hors d’œuvres selbstbewusst Brot mit Butter reichen, steckt dahinter etwas anderes. Es ist die Präambel des Menüs, in der eine tiefe kulinarische Einsicht kundgetan wird: dass gute Küche auf Sorgfalt und guten Zutaten beruht. Und nicht auf entfesselter Kreativität samt Schäumchen und exotischer Würze.

 

Die gastronomischen Mis-sionare des Brotkörbchens seien dafür gepriesen — auch für ihren Mut! Denn ein solcher Auftakt kann alles, was darauf folgt — Vorspeise, Suppe, Hauptgang — kaum hochwertiger, sondern bloß aufwändiger erscheinen lassen. In der Pizzeria um die Ecke verhält es sich umgekehrt: Wer je von solchen Pizzabrötchen naschte, wird selbst die schlimmste Pizza noch irgendwie delikat finden.