Andrew Curtis vs. Massive Attack

Man stelle sich vor, die 70er Jahren wären ein wenig anders verlaufen. Alexander Kluge wäre nicht Opern-snob und Essayfilmer geworden, sondern hätte stattdessen Kraftwerk auf seinen Plattenspieler gelegt und den Schneideraum dafür genutzt, old-schoolig wie Brecht ein wenig auf die Erziehung seines Publikums zu achten. Vielleicht hätte man dann etwas wie den gemeinsamen Auftritt von Adam Curtis mit Massive Attack bekommen.

 

Adam wer? In Deutschland ist Curtis kaum bekannt, ein Historiker der Ideen, die Ausnahmeerscheinung der BBC. Curtis interessiert nicht die Geschichte der großen Einfälle von noch größeren Denkern. Sondern wie diese Einfälle aus Professorenbüros und Thinktanks in die Machtzentralen von Politik und Militär wandern und dort zu den politischen Doktrinen sich selbst als »frei« beschreibender Systeme werden. Curtis zeichnet nach, wie die Psychoanalyse in den USA zum Urheber von PR wird oder wie sich ein koloniales System der Klassifizierung im Völkermord von Ruanda nachwirkt. Jeden seiner Filme würde Frank Schirrmacher mindestens zu zwei Bestsellern verdünnen. 

 

Anders als der Frankfurter Zeitungsfürst muss Adam Curtis für die Popkompetenz nicht eigens einen Redakteur beschäftigen. Seine BBC-Erkläronkel-Stimme lässt er in einer Collage auf Bilder aus Cartoons und 50er-Jahre-Melodramen treffen, im Hintergrund singen die Supremes. Soviel Selbst-ironie muss sein. Zusammen mit den TripHop--Produzenten von Massive Attack stellt er bei der Ruhrtriennale das Verschwinden der Alternativen und den -Siegeszug der Nostalgie in den Mittelpunkt. Auf elf Leinwänden montiert er zwei Geschichten: Im Westen schlagen die »Swinging Six-ties« in den neuen Geist des Kapitalismus um, im ehemaligen Ostblock werden oppositionelle Punks zu russischen Neonazis — vereint durch die Unfähigkeit, gesellschaftlichen Fortschritt zu denken. 

 

Massive Attack liefern dazu den dichten Soundtrack aus Coverversionen von Jesus und Mary Chain, Burial und der russischen Punkband Grob. Diese kreuzen sie mit eigenen alten und neuen Stücken und reichlich Subbass. Ein Totalangriff auf die Sinne, dabei im besten Sinne lehrreich und humorvoll: Agitprop neuer Schule.