Destillate aus dem Endlosen

MGMT finden auf ihrem dritten Album zwischen »Struktur« und »Krrrch« zu sich selbst

Was ist eigentlich der größere Fluch — einst ein Kinderstar ge-wesen zu sein oder für ein One-LP-Wonder gehalten zu werden? Die einen verschwenden ihre Unschuld an die Musikindustrie, die sie mit Narben und — wenn alles gut ausgeht — einem gefüllten Bankkonto verlassen. Aus den Narben kann man eine Geschichte machen, mit dem Bankkonto kann man sie finanzieren. Und die zweiten? Sie sind der ungeliebte kollektive Irrtum, bei dem man wie bei einer Karnevalsaffäre beschämt zur Seite schaut, wenn man ihnen wieder über den Weg läuft.

 

Auch MGMT hätten so enden können. 2007 fand sich ihr Debüt »Oracular Spectacular« auf jedem iPod, die süßliche Synthmelodie von »Time to Pretend« war der Soundtrack zur Indieparty, und die College-Absolventen Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser avancierten über Nacht zu Stars. »Eigentlich hatten wir uns schon aufgelöst, als das Angebot für einen Plattenvertrag kam«, erzählt Ben Goldwasser im Interview. So musste aus dem Spaßprojekt zweier Kunststudenten eine Band werden, inklusive eines zweiten Albums, das viele enttäuschte, weil die psychedelische Knalligkeit verschwunden war. »Congratulations» war ein umsichtig komponiertes Gitarrenpopalbum, dessen kühle Eleganz an Jesus and Mary Chain und die Psychedelic Furs erinnerte. Diesen Monat erscheint ihr drittes Werk »MGMT«. In den besseren Zeiten der Musikindustrie, als Bands noch nicht mit dem Debüt verheizt wurden, war das dritte Album jenes, mit dem sich entschied, ob Künstler eine Zu-kunft haben. »A Hard Day’s Night« von den Beatles ist ein drittes Album, Bowies »Hunky Dory« ein anderes. Und »MGMT«? »Wir haben irgendwann beschlossen, dass MGMT eine Band ist, die mit jedem Album etwas anderes probiert«, meint Goldwasser. Aber wo der Bruch zwischen dem Debüt und dem zweiten Longplayer deutlich war, ist die jetzt erscheinende LP eine Synthese seiner Vorgänger. Sie nimmt die Unbekümmertheit des Debüts und passt sie in die Songformen des Nachfolgers, von denen sie sich immer wieder in den Freak-out steigert. Ein Album, das sich zumindest in der zweiten Hälfte nicht zwischen Lärm und Melodie entscheiden will und gerade wegen dieser Unbestimmtheit nachhallt.

 

»›Psychedelisch‹ beschreibt es ganz gut, aber ich wünschte mir, es gäbe mehr Begriffe, um dieses Ge--fühl zu beschreiben«, auch Goldwasser hat Schwierigkeiten, den Klang seiner Band zu beschreiben. »Psychedelic«, das beschreibt ja nicht nur, wie man so angenehm geflasht neben sich steht, dass man das Diesseits mit dem Jenseits verwechseln könnte, sondern auch eine wirklich durchaus fade Art, den fuzzigen Gitarrenrock der 60er Jahre wieder aufleben zu lassen. »Eigentlich bin ich von diesen Revivals genervt«, bekennt Goldwasser. »Aber andererseits muss man den Leuten einen Anknüpfungspunkt bieten.«

 

Und das funktioniert am besten, wenn man sich selbst nicht allzu sehr in den Vordergrund stellt. »Why do all the prophets lie?« singt Andrew VanWyngarden und bricht im nächsten Moment in eine dieser Krachharmonien aus, die die Soundsignatur von »MGMT« bilden. Ist das Sehnsucht nach einer goldenen Zeit des Pop, als die Gleichung »Pop = Widerstand« noch aufging? »Andrew und ich reden viel darüber, wie deprimierend unsere Zeit ist«, bekennt Goldwasser. »Man muss den Leuten erst ihren Lebens-stil wegnehmen, damit ihnen klar wird, dass sie sich stärker einbringen müssen.« Im Winter 2011 wohnte Goldwasser ein paar Blocks vom Occupy-Camp entfernt, schaute regelmäßig beim Camp vorbei und fühlte sich dennoch ausgeschlossen. Die Sprache war zu kompliziert: »Eine Bewegung sollte nicht nur zu Menschen mit Soziologie-Abschluss sprechen.« Wobei es verkehrt wäre, MGMT als politische Band zu beschreiben, jedesfalls nicht poli-tischer als man es von zwei Kunststudenten, die während der Bush-Jahre am College waren und als Erwachsene in der Wirtschaftskrise landen, erwarten würde.

 

»Your life is a lie« singt Andrew VanWyngarden irgendwann auf »MGMT«. Eine Epiphanie, eigentlich ein Anachronismus, wo doch heu-te alle immer über alles top informiert sind. Meint er das ironisch? »Nein. Meine Musik soll einen flüchtigen Blick auf die Wirklichkeit bieten, auf echte Gefühle und eine Wahrheit, selbst wenn diese verkorkst und unheimlich sind.« Oha. Sind MGMT am Ende verkappte Romantiker, die daran glauben, dass Musik ein spontanes Überwältigtwerden von Gefühlen ist? Man mag es sich kaum vorstellen. VanWyngarden hält seine Inspirationen jedenfalls nicht geheim. Viel Murakami habe er gelesen, Robert Walser und Paul Bowles. Und den Beat-Poet Philip Lamantia.

 

Letztes Jahr traten Goldwasser und VanWyngarden gemeinsam mit der Joshua Light Show, den Pionieren von Konzert-Visuals, in New York, auf. In ausufernden Improvisationen loteten sie ihre Grenzen aus: »Das war der entscheidende Punkt, an dem wir wussten, wie unser nächstes Album aussehen würde«, blickt Keyboarder Ben Goldwasser auf die Show zurück. Also schlossen sich die beiden in ihrem Studio ein, verkabelten Synthesizer und Sequencer und schraubten sich wieder in endlose Improvisationen, aus denen sie später die Stücke destillierten. »Vieles war einfach nicht intendiert«, erinnert sich Ben Goldwasser. »Das Ende war vollkommen offen, das mochte ich.« 

 

Vielleicht sind MGMT doch die Batik-Hippies, als die sie sich in ihren Videos maskieren. Zwar gebildeter, historisch informierter, aber dennoch auf der Suche nach soviel Transzendenz, wie es die Songform zulässt. Nicht schlecht für etwas, was als Karnevalsaffäre begonnen hat.