Nie weg, nie da

My Bloody Valentine tauchen ein ins Zwischenreich des Krachschlamms

 

Man möchte ja dem ganzen Neo-Hype um die Shoegazer- und Dream-pop-Bands ganz schnell den Stecker ziehen: Handelt es sich doch um ganz einfache, ärmliche Song-ideen, die durch Feedback, Gitarren-Wall-of-Sound und eine verschwom-men-diffuse Produktion zu diesen Innerlichkeitsmonstern aufgeblasen werden. Das »Geheimnis« -dieser Musik: ein technischer Effekt, ein rein additives Verfahren.

 

My Bloody Valentine haben Anfang des Jahres buchstäblich aus dem Nichts heraus — ohne Vorankündigung, ohne Promo-Zirkus — ein neues Album veröffentlicht. Ihr erstes seit 22 Jahren, neun Jahre nach ihrem »Comeback«, als nämlich Sofia Coppola ihre Lärmschlieren-Melancholie prominent in »Lost In Translation« platzierte. Ersehnt haben »alle« ein neues Album, gerechnet damit hat keiner. Es heißt pathetisch schlicht »mbv«, ist im Selbstverlag erschienen und versteht sich als Ausschnitt einer Work-In-Prorgess, Mastermind Kevin Shields hat es explizit weder als perfekt noch als abgeschlossen bezeichnet.

 

Aber es ist die große Anstrengung: Die Band tritt den Beweis an, dass ihr Lärm sich nicht einer simp-len Klangschichtung verdankt. Denkt man sich, das Dröhnen, Malmen, Rückkoppeln, den matsch-warmen Gitarrenschlamm weg, bleibt eben kein »Pop«, kein »Song« übrig — sondern eben: nichts. Ihre Musik lebt nur durch den Lärm, in den Modulationen des weißen Rauschens hin zu einem rosa, brau-nen oder gelben. Man muss sich das als gänzlich unaggressive, nahezu spannungsfreie, beinahe — aber nur beinahe! — widerstandslose Arbeit in und mit den Klangfluten vorstellen.

 

Das ist weder das Prinzip Ambient (Musik als Gegenstand der In-nen-einrichtung), noch romantische Sehnsucht (Musik, in der man sich verlieren kann). Im Gegenteil ist ihr Ausgangspunkt, dass man sich verloren hat (schon verloren ist) und in diesem Zu-stand der Orientierungslosigkeit sich zurecht finden muss, ohne Chance darauf, ein kohärentes Bewusstsein jemals wieder (?) erlangen zu können. Alle — melodischen, rhythmischen — Eckpunkte geben nur trügerischen, maximal flüchtigen Halt. Ein Kaleidoskop, in dem keine bunten Steinchen, sondern Flüssigkeiten unterschiedlichster Konsistenz gedreht und geschüttelt werden.

 

Ganz konventionell geht jetzt das britisch-irische Quartett, das übrigens seit 26 Jahren in ein und derselben Besetzung spielt, auf Tour. Ihre Auftritte sind »eindeu-tiger«, erwartbarer, brutalistischer — dennoch ist es das Ereignis der Saison. Dabei waren My Bloody Valentine weder ganz weg noch waren sie jemals ganz da, die Tunes sind alterlos, ortlos, könnten zwei oder schon 22 Jahre alt sein. Es spielt keine Rolle. Für uns unfreiwilligen Freunde der linearen Zeitvorstellung eine durchaus beunruhigende Mitteilung.