»Theaterbesessen«

An der Theaterakademie Köln geht für Bolat Atabayev das erste Jahr zu Ende. Grund für den kasachischen Regimekritiker und Theatermann, der in Köln in der Emigration lebt, Bilanz zu ziehen. Seit Dezember 2012 ist der 61-jährige Schirmherr der Akademie und unterrichtet dort eine Meisterklasse. Jetzt steht seine erste Premiere mit den Absolventen an.

 

In seinem Stück »Lady Milford aus Almaty«, dem er für die Kölner Inszenierung ein Update verpasst hat, stellt Atabayev Fragen nach Heimat und Zugehörigkeit. Was bedeutet es, deutsch zu sein oder auch nicht? Was zählt: ethnische Herkunft oder geistige Heimat? Diese Fragen treiben die Protagonistin, eine Russlanddeutsche, um, die hier keinen Anschluss findet. Es sind auch Fragen, die sich Bolat Atabayev, der, wie er sagt, mit Schillers Räubern und Brechts -epischem Theater das Protestieren gelernt hat, privat stellt. »Es gibt auch für mich Momente, die nicht passen«, berichtet der Regisseur, »zum Beispiel der verplante Alltag der Deutschen. Hier hat man Angst, spontan zu sein.« Sein neues Zuhause an der Theater-akademie gefalle ihm dennoch: »Künstler in der ganzen Welt haben die gleiche Diagnose: Theaterbesessen! So fällt das Arbeiten hier nicht schwer.« 

 

Eine Rückkehr nach Kasach-stan schließt der Regisseur derzeit aus. Ihm drohten zwölf Jahre Haft bei der Einreise. Zu oft rührte er an Tabus. Atabayev hat den Genozid an den Wolga-Deutschen in Ka-sachstan thematisiert und hartnäckig die Korruption der despotischen Herrscherfamilie um Präsident Nasarbajew angeprangert. Im vorletzten Sommer wurde er schon einmal verhaftet, nachdem er sich mit streikenden Ölarbeitern aus Schanosen solidarisiert hatte, deren Aufstand blutig niedergeschlagen wurde. Erst auf interna-tionalen Druck hin wurde er frei gelassen. Gelegenheit, mehr über die politische Situation im Boomland Kasachstan zu erfahren, gibt es im Oktober, wenn Atabayev in der Salonreihe der Akademie der Künste der Welt mit seiner lecture performance »Gegen das Schweigen« zu Gast ist.