Ändere dein Leben

Von Ayuveda bis Umweltschutz: Mehrere Kölner Verleihe bedienen

den boomenden Markt der Wellness- und Weltverbesserungs-Filme

Der Dokumentarfilm »Bottled Life« kommt am 12. September ins Kino, um Stellung in einer tagespolitischen Debatte zu beziehen. Drei Tage zuvor endet die Unterschriftensammlung einer europäischen Bürgerinitiative gegen die Privatisierung der Wasserversorgung — bis Mitte August hatten bereits mehr als 1,5 Millionen Menschen unterzeichnet. Urs Schnells Film zeigt, wie der Großkonzern Nestlé Milliardengewinne einfährt, indem er weltweit Wasserressourcen entnimmt und verkauft. Verliehen wird die Dokumentation von W-film. Die Deutzer Firma hatte schon 2012 mit Valentin Thurns »Taste the Waste«, der die weltweite Lebensmittelverschwendung anprangert, einen Überraschungserfolg, begleitet von -Diskussionsrunden, Talkshows und lang anhaltendem Presse-Echo. Auch für »Bottled Life« plant Stephan Winkler von W-film Diskussionsveranstaltungen zur Premiere sowie die Gründung eines Vereins, »damit sich auch nach dem Film etwas in der Wasserwirtschaft verändert«.

 

»Kampagnenkino« nennt -Joachim Kühn, Kinobetreiber und Mitbegründer des Verleihs Real Fiction, diese immer häufiger anzutreffende breite Präsentationsform. Derzeit hat Kühn den Entschleunigungsfilm »The End of Time« in den Kinos und außerdem »Apple Stories«, einen Film über die wenig nachhaltige Produktion des des iPhones. Der Verleih am Hansaring war 1996 angetreten, um Dokumentarfilmen auf die große Leinwand zu verhelfen. Irgendwann fiel Kühn auf, dass nicht nur ambitionierte und preisgekrönte Independent-Filme ins Kino kamen, sondern auch immer mehr Spirituelles, Esoterisches, oft zu kruden Themen: So wurde »Das Phänomen Bruno -Gröning« (2003), ein fünfstündiges Porträt des Nachkriegs-Wunderheilers, ein skurriler Dauerbrenner wider alle Sehgewohnheiten. Seither hat sich die handwerkliche Qualität vieler Dokus verbessert und das Publikum ist größer geworden: Filme über Ayurveda, Chi-Medizin, Schamanismus und Wiedergeburt sind daher im Repertoire vieler Verleiher.

 

Auf den ersten Blick scheint es, als hätten solche Filme wenig gemein mit umweltpolitischen Dokumentationen wie »Bottled Life«. Aber sie alle sprechen ein Publikum an, für das Welt- und Innenweltverbesserung zwei Seiten derselben Medaille sind. Die Grenzen zwischen Politik und Wissenschaft auf der einen Seite und Esoterik und Religion auf der anderen sind dabei fließend.

 

Den aktuellen Trend einer Optimierung von Selbst und Seele rubriziert Kühn unter »Wellness«, zusammen mit Künstlerbiografien, Koch- und Tanzfilmen. »Hier hat man klare Zielgruppen, die sich für Kulturthemen interessieren, auch leicht esoterisch angehauchte Sachen«, so Kühn. »Das sind Leute, die Arthouse- und Dokumentarfilme angucken und auch vor Untertiteln nicht zurückschrecken.« Bei fünf bis sechs Millionen Yoga-Treibenden etwa lag es nahe, einen Film dazu zu drehen. Der Erfolg von »Der Atmende Gott« (2012) des Regensburger Verleihs MFA+ war mit 90.000 Zuschauern dennoch überraschend. Auch Real Fiction hat einen Yoga-Film im DVD-Repertoire. Für Dokumentationen, die nur zwei oder drei Wochen im Kino laufen und höchstens 5000 Zuschauer anlocken, ist das Nachspiel auf DVD wichtig.

 

Der Ehrenfelder Verleih Mindjazz von Holger Recktenwald und Manuel Stremmel vertreibt »klassische« Dokumentarfilme, etwa Porträts über Anselm Kiefer und Anton Corbijn, aber auch Phie Ambos »Free the Mind«, in dem der Neurowissenschaftler Richard Davidson die heilende Wirkung von Meditation bei traumatisierten US-Soldaten nachweist. Die Zahl dieser Low-Budget-Themenfilme ist mittlerweile Legion: Recktenwald sieht Entsprechungen zur Geschichte der Kultur- und Lehrfilme, die früher von Schulen, Universitäten und anderen Bildungsstätten bei Landesbildstellen ausgeliehen wurden. Jetzt kommen sie eben ins Kino.

 

Der Mindjazz-Dokumentarfilm »The Substance« über Albert Hofmann, der in den 40er Jahren mit LSD experimentierte, zeigt, dass Neues manchmal seine Zeit braucht: Die psychedelische Ära von 1968 bis in die 80er Jahre hinein war die Blütezeit alternativer Visionen. Doch popularisiert wurde New Age durch Schallplatten und vor allem Bücher: von -Fritjof Capras »Das Tao der Physik« bis zu Thorwald Dethlefsens »Das Erlebnis der Wiedergeburt«. Allerdings zielte bereits Godfrey Reggios Film »Koyaanisqatsi« (1982) ebenso auf Bewusstseinsveränderung wie auf Umwelt- und Klimaschutz. »Kampagnenkino« bedeutete damals eine Auswertung auf öffentlichen Partys, in Meditationsgruppen bis hin zu Cinema-theken. Für die Minimal-Music von Philip Glass und die monumentalen Landschafts- und Städtepanoramen in Zeitlupe und Zeitraffer gab es damals den Goldenen Bären. Heute beurteilt die Film-kritik Filme in dieser Tradition zurückhaltend bis skeptisch.

 

Den Vorwurf der gelegentlichen ästhetischen Unzulänglichkeit des Weltverbesserertums hält Miriam Pflüger vom Ehrenfelder Verleih Bravehearts International für zweitrangig: »Was ist wichtiger? Dass ich die ganze Zeit den einen guten Film zum Thema suche und nicht finde, oder dass es glaubwürdig umgesetzt wurde?« Wenn die Message im Vordergrund stehe, sei das Feuilleton nicht mehr der richtige Ort für diese Filme, meint Recktenwald, sondern eher die thematisch passenden Ressorts: Umwelt, Technik, Wirtschaft, -Religion. 

 

So formiert sich hier — abseits des zunehmend schematischen Multiplex- und Arthouse-Mainstreams — eine neue Form des Filmsehens, die mehr Wirkungsmacht entfalten kann als die Rezeption vor dem Fernseher im Wohnzimmer: Die Erstausstrahlung der WDR-Produktion »Taste the Waste« hatte keine nennenswerte Resonanz. Aber der Kinoeinsatz erreichte dann mehr als 120.000 Zuschauer — und entfachte eine umfassende Debatte darüber, was auf den Tisch und was in den Müll gehört.