Bernd Wilberg

Geschmacklos

Nachtisch #15

Menschen und ihre Nahrung — in den Industrienationen ein neurotisches Verhältnis. Ausgerechnet dort also, wo es Essen im Überfluss gibt. Fett- und Magersucht aber sind nur die schillerndsten Symptome einer grundsätzlichen Entfremdung: Auf Milchpackungen sind grasende Küche abgebildet, obwohl man die Tiere in Wirklichkeit mit Medikamenten füttert, Konzerne bewerben krankmachende Kleinkindnahrung als gesundheitsfördernd, und die Aromen in den allgegenwärtigen Fertiggerichten stammen nicht von den abgebildeten Zutaten, sondern aus dem Chemie-Labor.

 

Aber: Da winkt man ab. Das weiß man doch. Denn all diesen Irrsinn hinzunehmen, hat man uns antrainiert. Und sorgt denn nicht die Lebensmittelindustrie dafür, dass immer mehr Menschen günstig satt werden können? Dass dies jedoch erstens nur möglich ist, weil Menschen und Natur in anderen Teilen der Welt ausgebeutet werden und dass zweitens diese Ernährung krank macht — dies ist der ei­gentliche Preis, den wir für die­sen Sättigungsramsch zahlen.Während wir unsere Smartphones und Laptops vor Viren und Spam schützen, lassen wir zu, dass man uns mit Nahrungsmittel-Malware in Form von Zucker, Fett, Salz und Aromastoffen verseucht. Diese Produkte ruinieren nicht bloß unsere Gesundheit, sondern auch unseren Geschmackssinn. Unsere Fähigkeit, aromatische Nuancen zu bemerken, ist uns längst abhandengekommen: ­Wir erkennen mit verbundenen Augen kaum den Geschmack von Mirabelle, Kerbel oder Steinpilz — wohl aber den populärer Snack-Riegel.

 

Unser Genuss verkümmert. Statt Verfeinerung bleibt bloß Befriedigung von Gier: nach Zucker, Fett, Salz; darauf haben uns die Lebensmittelkonzerne und ihre Handlanger in der ­Werbung abgerichtet. Und mit ihren plumpen und vorder­gründigen, süchtig- und krankmachenden Aromen machen sie uns zu gustatorischen Idio­ten, die nur noch die allerschrillsten Reize am Gaumen spüren. Am Ende dieser Logik steht, in doppelter Hinsicht: Geschmacklosigkeit.