In sich gekehrt aus sich heraus

Dus-Ti fechten elegant und treten doch am liebsten wuchtig auf

Gibt es eine schönere Geste künstlerischen Selbstbewusstseins? Wenn eine Band aus ihrem Lauf aussteigt und eine Arbeit vorlegt, die einen ganz anderen Stand der Materialsichtung, eine ganz andere Haltung präsentiert?

 

Das ist bei »EP«der Fall, der zweiten Platte (Vinyl only!) des Kölner Duos Dus-Ti, das live aus seinem minimalistischen Setting — Trompete, Schlagzeug, analoge Elektronik — brüllenden Monsterkrach zu entfesseln in der Lage ist. Die vier neuen Stücke sind aber über­wiegend ruhig, auch wenn es eine dräuende, brodelnde Ruhe ist, ein ganz und gar nicht abgeklärtes Warten auf den Ausbruch. Der aber nicht eintritt (oder sich in Form einer Vorerinnerung nur ankündigt). So verharrt die Musik in sich gekehrt, konzentriert darauf, in der Trance nicht die Balance zu verlieren.

 

»Wir haben die Stücke nach unseren ersten großen Konzerten aufgenommen. Es war einfach Zeit für eine Standortbestimmung, für eine Reflektion über das, was wir gerade machen und wohin wir wollen. Es war wie ein Nebelgefühl, eine gewisse Orientierungs­losigkeit. Das meine ich gar nicht negativ, wir waren wie in einem Schwebezustand, in dem wir uns treiben ließen«, beschreibt Pablo Giw, Trompeter und Elektroniker, den Ausgangspunkt der Aufnahmen. Mirek Pyschny, der Schlagzeuger, ergänzt: »Wir haben die Platte in unserem Proberaum im Stollwerck aufgenommen, wenn ich dort laut spiele, dann scheppert es. Ich habe also sehr ruhig gespielt, viel mit dem Besen gearbeitet, mit den Händen. Hinzukommt, dass wir die Stücke im Sommer 2012 eingespielt haben, in der einzigen Woche, in der es richtig heiß war. Wir haben die Stücke mit den einfachsten Mitteln aufgenommen, nur zwei Mikrofone. Alles ist live. Wir kriegen viele Reaktionen auf das Album: ›Wie viele Schnitte gibt es?‹ ›Das sind doch Overdubs, der Schlagzeug-Sound ist geloopt!‹ Aber nichts davon kommt vor. Wir fassen das als Lob auf, die Leute nehmen unsere Musik als gestaltete wahr.«

 

Dus-Ti, die es seit 2008 gibt, aber so richtig öffentlich erst seit zwei Jahren, stehen in der altehrwürdigen Tradition jener Avantgardisten, die einen aufgeschlossenen Mainstream produktiv verstören — was passiert mit Free Jazz, wenn er sein angestammtes Terrain verlässt und die Welt ihn ausnahmsweise mal freudig begrüßt? Man denke nur an John Zorn, Bill Laswell, Elliott Sharp, Jim O’Rourke, Toshinori Kondo, Arto Lindsay… Einen entscheidenden strukturellen Unterschied gibt es aber: Giw und Pyschny haben nicht — wie etwa die eben erwähnten — jahrelang am äußersten Rand von dem, was wir Musik zu nennen gewohnt sind, gekratzt und geschabt, um dann »entdeckt« zu werden. Sondern umgekehrt: Vom Mainstream aus stoßen sie immer weiter ins Unreglementierte, Offene, Unwegsame vor. Sie gehen den umgekehrten Weg, fingen beim Konventionellen an. »Wir haben schnell gemerkt, dass Kompositionen uns einschränken«, sagt Pyschny. »Wenn wir ein Stück noch mal und noch mal gespielt haben, nahm unsere Begeisterung ab. Die Begeisterung nimmt aber zu, wenn wir nicht wissen, was kommt, wenn wir uns von uns selbst überraschen lassen. Das ist uns besonders im Studio bei den Aufnahmen zu unserem ersten Album aufgefallen: Der erste Take war meistens der beste. Wir haben ein Stück fünfzehn Mal aufgenommen, handwerklich wurde es immer besser — aber alle späteren Aufnahmen kamen nicht an die Energie der ersten Einspielung ran.«

 

Diese Entdeckung der Impro-visation und ihrer ungemein be-lebenden, aufputschen Wirkung ist aber ständig mit dem Moment der Reflektion verklammert (vielleicht auch deshalb das Meditative der zweiten Platte). »Wir sind immer noch dabei, herauszufinden, wer wir sind, was wir wollen, alles befindet sich im Prozess. Darum geht es meiner Meinung nach in der Musik am meisten: loszulassen und auszuloten, was alles möglich ist, was alles kommen kann«, konstatiert Giw, und Pyschny führt umgehend fort: »Aus der Orientierungslosigkeit kommst du nur raus, indem du weiter spielst. Die Musik stürzt dich in Verwirrung, in ihr klärt sich aber auch alles.«

 

Die Voraussetzungen dafür: Konzentration, Ehrlichkeit (ein, sagen wir, altmodischer Ausdruck, den man mit Deutschrock in Verbindung bringt, der aber im Gespräch mit Dus-Ti häufiger fällt). Es geht aber nicht um die Selbtbefragung beim musikalischen Erwachsenwerden, sondern um die Ruhe vor dem ersten Schlag, der entscheidenden Attacke: Jeder Ton ihrer zwei Alben macht deutlich, dass da was raus muss. Giw und Pyschny wollen nach vorne gehen, aber eben nicht stürmen. Oder doch? »In mir tobt ein Rocker«, sagt Giw, »ich habe eine große Leidenschaft für harte, superenergetische Sounds. Und dafür spiele ich eigentlich das falsche Instrument. Da wir uns aber von den Konventionen gelöst haben, wie ein Jazz-Duo zu klingen, habe ich auch die Freiheit, mit meiner Trompete ganz abwegig zu arbeiten und sie an Verzerrer und Verstärker anzuschließen, mit Synthesizern zu experimentieren.« James Blake (Giw) und Led Zeppelin (Pyschny) sind aktuell große Einflüsse. Nicht idiomatisch, vielmehr strukturell: was die Bewältigung großer Klangmassen angeht. Elegant fechten und wuchtig zuschlagen.

 

Und das vermittelt sich nicht nur live: »Die letzte Nummer auf ›EP‹ weist schon nach vorne, das Stück beißt, ist zupackender, auch ein bisschen übersteuert. Das zeigt an, welchen Weg wir eingeschlagen haben«, sagt Giw. Und für die Zu-­kunft? Pyschny: »Unser Publikum ist gar kein Jazz-Publikum.« Eh klar.

 

Tonträger: »EP« ist im Selbstverlag erschienen und u.a. bei a-Musik erhältlich oder über dus-ti.com