Gegen die Zermürbung

Die Philharmonie präsentiert ein Festival mit iranischer Musik

»New Sounds of Iran« gibt mit Konzerten, Filmen, einer Fotoausstellung und einem Workshop einen außergewöhnlichen Überblick über die traditionelle und moderne Musik im Iran.

 

Letztere findet häufig außerhalb des Landes statt: Rock, Pop, HipHop sind zwar nicht per se verboten, aber moralisch anrüchig, und Genehmigungen für Konzerte oder CDs erteilt das sittenstrenge Erschad-Ministerium — ein zermürbender Prozess, der viele Bands früher oder später aus dem Land treibt. So lebt ein Gutteil der Musiker in Europa oder den Staaten, wie etwa die vor zehn Jahren gegründete Kultband Kiosk. Inspiriert von Leonard Cohen und Bob Dylan singt Frontmann Arash Sobhani männlich-melancholisch über die Malaise der Megacity Teheran oder den Stress einer Facebookfreundschaft. Die satirischen Texte, sind — seitdem die Band nach San Francisco gezogen ist — eindeutiger geworden. Kiosk ist nur im Filmprogramm des Festivals zu haben (»Kiosk, a 33 year story«), dort zeigt auch Amir Hamz‘ Doku-Klassiker »Sounds of Silence«, wie schwierig das Leben im Underground ist, Torang Abedians Langzeitportrait »Not an Illusion« präsentiert die dezidiert weibliche Sicht.
Ausgewanderte Undergroundstars wie Kiosk, Mohsen Namjoo oder Shahin Najafi begeistern ihre Fans ebenso wie es die puristischen Vertreter persischer Klassik tun. Dazwischen verläuft der Graben zwischen E- und U-Musik — die Kluft der Generationen, die im Iran etwas Substanzielles hat: eine überwältigend junge Bevölkerung wird von wenigen alten Patriarchen regiert. Die jetzt in Köln auftretenden Bands, Ensembles und Musiker operieren auf dieser Grenze, nutzen sie als Experimentier- und Verhandlungsfeld, etwa wenn Sorush Ghahramanlu von der Crossover-Band Nioosh die dreisaitige Setar — ein klassisches Instrument — elektrisch verzerrt.

 

Die Grenzen dessen, was »traditionell« bedeutet, werden gerade gedehnt: Die Altstimme von Mamak Khadem verrät klassische Schulung, doch die Musikerin hat nicht nur Scores zahlreicher Fernsehserien komponiert — unter anderem für »Buffy. Im Bann der Dämonen« –, sie ist auch Mitbegründerin einer der ersten erfolgreichen iranischen Rockbands: Axiom of Choice. Viele Vertreter der Avantgarde haben die traditionelle Musik mit der Muttermilch aufgesogen, standen schon als Kinder auf der Bühne wie Mohammad Reza Mortazavi, der mit zehn Jahren die Tonbak-Landesmeisterschaften gewann: jene Trommel, die man im Schneidersitz unter den Arm geklemmt spielt, bearbeitet er mit galoppierenden Fingern. Zu ähnlich früher Meisterschaft brachte es Pedram Derakhshani; der Santur — einem waagerecht auf dem Boden liegenden, mit 72 Saiten bespannten Holztrapezoid — entlockt er mit Schlägeln sphärische Klänge zwischen Synthesizer, Spinett und Sitar. Mit 39 Jahren mischt er im eigenen Ensemble traditionelles Material mit Jazz und Rock. Aktuell widmet er sich dem mittelalterlichen Mystiker Mewlana Rumi.

 

Bei der 2010 gegründete Band Pallett klingt Fusion — in diesem Fall: »World-Fusion-Jazz« — anders: Mit gezupftem Bass, Gitarre, Cello, Akkordeon und Klarinette erinnern sie eher an europäischen Folk mit tatsächlich: Klezmer- und Gipsy-Einflüssen. Ihr wiederum klassisch geschulter Sänger Omid Nemati bringt mit Texten von Rumi die eindeutig iranische
Färbung ein. Ursprünglich nur als kurzlebiges Charity-Projekt gedacht, ist Pallett im Iran derzeit extrem erfolgreich. Klassische Texte von Rumi, Hafis, Saadi, Omar Khayyam: für viele Musiker ein praktikabler Kompromiss, schließlich kann man die häufig vor Doppeldeutigkeiten und sinnlich-subversiven Anspielungen strotzenden Zeilen schlecht zensieren.
Ajam wissen darum, dass dieses Erbe in der Diaspora zum Ballast der Nostalgie auswachsen kann, sie stellen lieber alles auf den Kopf und spielen HipHop auf traditionellen Instrumenten. In ihren Texten besingen die Londoner den Clash der Kulturen und bebildern ihn in lustigen Videos — als Collage aus urbanem Lifestyle mit persischen Accessoires: Wasserpfeife, Neyflöte, Schnauzbart und Kajal. »Ajam« ist der häufig auf Iraner gemünzte arabische Terminus für nicht-arabische Muslime.

 

Apropos: die neue Musik des Iran erweist sich als ethnozentrisches Konstrukt, wenn sie sich nur über den Bezug zur persischen Klassik definiert und Minderheitenpositionen ausgrenzt; in der Populärkultur werden die arabisch-afrikanischen Musikkulturen des iranischen Südens gerne als exotisch-lustige »Bandari«-Unterhaltung belächelt. Das Ensemble von Saied Shanbehzadeh, dessen Vorfahren aus Sansibar stammen, setzt auch regionale Instrumente ein: den Neyanbon — einen mächtigen Dudelsack — oder das Boogh, ein Horn. In ihrer Heimat, der Hafenstadt Buschehr am Persischen Golf, mischen sich verschiedenste Elemente nichtpersischer Folklore: indische, arabische und zentralafrikanische Rhythmen, hypnotische Tranceeinflüsse; man meint Reggae herauszuhören.

 

»New Sounds of Iran«: Die ge­ladenen Musiker, Ensembles und Bands positionieren sich kreativ gegenüber den Traditionen und Verpflichtungen einer Jahrtausende alten Kultur.