»Ach« — puff

Jörg Fürst nimmt sich den Kleistschen

Big Player der Identitätskrisen vor

Es könnte ein X sein, das etwas ausstreicht. Oder ein liegendes Andreaskreuz, das vor durchrauschenden Wesen warnt, die einen Menschenkörper zermalmen können. Das Vernichtungszeichen ist als Aussparung in die schwarze Wand auf der Bühne geschnitten. Was hier vernichtet werden soll, ist schlichtweg die Identität des Menschen. Die Schlacht, die Amphitryon gerade im Feld geschlagen hat, ist ein Spaziergang gegen den Feldzug, den Jupiter unternimmt, als er in der Gestalt des Feldherren dessen Frau Alkmene beglückt und dem zuvor glücklichen Paar den Boden unter den Füßen wegzieht. 

 

Alljährlich nimmt sich der Regisseur Jörg Fürst, Leiter des a.tonal.theaters, einen Klassiker zur Brust. Diesmal Kleist böse Komödie »Amphitryon« unter dem etwas prätentiösen Titel »Me, Myself & I: Amphitryon«. Die als »multimediales Theaterprojekt« angekündigte Produktion ist aber, ihrem Titel zum Trotz, ein Abend vom Blatt, texttreu, ohne interpretatorische Überschläge. Sosias (David Fischer) mit Feinripp, Schlabberkniehose und Hütchen nimmt den Identitätsklau durch den prügelnden Merkur (Oleg Zhukov) recht pragmatisch hin; erst als es ans Fressen geht, kommt ihm die Moral. 

 

Belässt es die Regie hier bei der Lösung mit zwei Schauspielern im gleichen Kostüm, so werden die Figuren Amphitryon und Jupiter von einem Darsteller verkörpert. Valentin Stroh in Tarnjacke und schwarzen Jeans löst das überzeugend, stößt den Feldherrn vom völligen Unglauben in dunkelste Tiefen der Selbstentfremdung. Sein Jupiter dagegen ist ein eitler Charmebolzen, der schließlich seinem widersprüchlichen Narzissmus erliegt: In der Gestalt eines anderen um seiner selbst willen geliebt werden zu wollen. So aktuell der Konflikt angesichts virtueller Identitäten sein mag, die Verschmelzung der beiden Figuren unterspielt die personale Dualität eher, als sie zu exponieren.

 

Und das Opfer der Begierde? Dorothee Föllmers als Alkmene bleibt am Anfang unscheinbar, steigert sich aber zu einer traumwandelnden Liebenden, der selbst Götter nicht gewachsen sind. Zwischendurch rollen die Schauspieler einen Soundteppich aus Schnalz-geräuschen und Fingerschnippen aus, Textpassagen wie das berühmteste »Ach« der Weltliteratur, Alkmenes Seufzer, als sie von Jupiter verlassen wird, werden aus dem Off eingespielt. Die große göttliche Offenbarung ist dann wenig überraschend eine simple Politikeransprache an den Mikros. Neunzig  Minuten unterhaltsame Konvention im freien Theater.