Retrospektive Nagisa Oshima

Eine Ära ist zu Ende gegangen: Binnen weniger Monate verstarben Ende 2012/Anfang 2013 mit Koji Wakamatsu und Nagisa Oshima die beiden vielleicht wichtigsten Regisseure der Japanischen Kinomoderne. Zu Ehren des Letzteren zeigt das Japanische Kulturinstitut eine schöne Reihe mit sieben -Filmen, die die bekannteren Spätwerke wie »Im Reich der Sinne« und »Merry Christmas, Mister -Lawrence« beiseite lässt zugunsten weniger geläufiger Werke.

 

Über die kann man nachver-folgen, wie Oshimas Kino sich im Zuge der politischen Radikalisierung der 60er Jahre verändert und verfeinert hat: Der neorealistische Gestus des Langfilmdebüts »Street of Love and Hope« (1959)weicht zunächst, zum Beispiel im Asozialdrama »Sing a Song of Sex« (1967) oder dem besonders draufgängerischen, an Wakamatsus -erotomane Eska-paden erinnernden »Diary of a Shinjuku Thief« (1967), einem formal-ästhetischen Radikalismus mit direktem Bezug zu den Gegen-kulturen der Zeit. Das meisterliche Außenseiter-portrait »Boy« (1969), mit dem die Reihe einsetzt, und die ganz besonders düstere Familiensaga »The Ceremony« (1971) schlagen dann wieder eine andere Richtung ein: Die Hoffnungen auf gesamt-gesellschaftliche Befreiung haben sich nicht erfüllt, scheinen re-gel-recht erfroren in starren Breitbildpanoramen. Und die verdrängten Schrecken von Krieg und Milita-rismus, die zentralen Antriebskräfte fast aller Oshima-Filme, drängen umso machtvoller an die Oberfläche.

 

Die sieben Filme zeigen Oshima als einen Regisseur, der nie stillstand, der sich nie auf einer einmal erfolgreichen Formel ausgeruht hat. Die innere Unruhe, die man in diesem Werk verspürt, ähnelt jener der namenlosen Hauptfigur von »Boy«, einem Jungen, der mit seinem brutalen, kleinkriminellen Vater und seiner hilflosen Stiefmutter durchs Land zieht. Er würde gerne flüchten, hinein in Traumwel-ten oder hinaus, weg aus Japan, vielleicht sogar ins Weltall — und wird doch immer wieder zurückgeworfen auf jene Geschichte der Gewalt, der der Regisseur Oshima über Jahrzehnte immer wieder neue, schillernde Facetten abgerungen hat.