Höllisches Paradies

Jane Campion beweist mit »Top of the Lake«, dass auch

Fernsehserien großes Autorenkino bieten können

Ein weiter See, ein gewaltig aufragendes Bergmassiv: ein erhabenes Idyll. Doch der Eindruck trügt: Schon läuft der algengrüne See über, ergießt sich in die Tiefe des schwarzen Bildhintergrunds. Unter der planen Oberfläche, hinter dem Eindruck provinziellen Landschafts-glücks, schlummern Abgründe: Schon im Vorspann von Jane Campions und Gerard Lees neuer, von der BBC koproduzierten Miniserie ist das zentrale Thema im Kern erfasst. Die diesigen, oft fast monochromatischen Bilder kündigen keine herbstliche Melancholie zwischen Wollpullover und Teekanne an, sondern bedrohliche Gewalt.

 

Der Flecken Erde im Hinterland Neuseelands, in dem »Top of the Lake« spielt, nennt sich ausgerechnet »Paradies«. Dort siedelt sich gerade eine Kolonie traumatisierter, vom Leben gezeichneter Frauen an, rund um die guruartige, in ande-ren Sphären weilende GJ (Holly Hunter), während nicht weit davon die gerade mal zwölfjährige Tui (Jacqueline Joe) ins frostige Wasser des titelgebenden Sees steigt. Ein Selbstmordversuch, da sie schwanger ist, wie sich bald herausstellt.

 

Die auf den Umgang mit Kindern spezialisierte Ermittlerin Robin (Elisabeth Moss aus »Mad Men«), in der Gegend zwar aufgewachsen, doch eigentlich nur zufällig zugegen, wird auf die Sache angesetzt. Wenig später verschwindet Tui spurlos. War sie Opfer einer Vergewaltigung? Wur-de sie vom Täter ermordet? Hat gar ihr Vater Matt (Peter Mullan), der scheußliche Patriarch eines White-Trash-Clans, sie vergewaltigt? Robin, selbst biografisch schwer gezeichnet, stößt bei ihren Ermittlungen auf die eisigen Wände provinzieller Männerbünde und muss sich ihren eigenen, neu aufbrechenden Traumata stellen.

 

Anders als die selbstlaufenden »Plotmaschinen« (Dominik Graf) der populären US-Serien mit ihren immer neuen Attraktionen und spektakulären Wendungen zeichnet sich »Top of the Lake« durch einen konzentrierten, auf ein klares Ziel hinarbeitenden Spannungs-aufbau aus und eine gedämpfte, nahe-zu fragile Erzählweise. Nichts wird überdeutlich auserzählt, alles vermittelt sich über Details: Man lernt wieder genaues Zusehen und — auch wegen des brachialen Dialekts — Hinhören und wird dafür mit einem hypnotisch-intensiven Erzählsog belohnt. Motivisch be-dient sich Campion (»Das Piano«) zwar bei »Männergenres« wie dem Polizei- und Westernfilm, in einer komplexen Umdeutung und Neu-anordnung nutzt sie sie aber für eine Meditation über das Verhältnis zwischen Mann und Frau.

 

Gegen- und nebeneinander stehen hier teils undurchlässige Bündnisse: die White-Trash-Meute, die Polizei, die siedelnden Frauen am See — später bilden auch die Kinder der Stadt eine Naturkolonie, um Reißaus vor den Zumutungen dieser krass männlich geprägten Erwachsenenwelt zu nehmen.

 

Ohne bloß Klischees des »Themenfilms« zu bedienen, verhandelt die Oscar- und Goldene Palme-Gewinnerin Campion und Lee Geschlechterdifferenzen und -verwerfungen mal schmerzhaft, mal witzig: Letzteres etwa, wenn sich eine sexuell unausgelastete Frau mit ungebrochener Business-Kälte einen Mann zur mechanischen Befriedigung einkauft.

 

Großes Kino ist das nicht nur wegen der hervorragenden Schauspieler und der atemberaubenden HD-Landschaftstableaus der »Herr der Ringe«-Kulisse, sondern auch, weil das Konzept der Miniserie nicht wie bei den großen US-Serien in Schreibfabriken ersonnen wur-de, was das Werk nochmal deutlich näher in Richtung Autorenfilm rückt. Entsprechend feierte »Top
of the Lake« bei Sundance und der Berlinale Premiere. In Köln läuft dieser Sechs-Stunden-Film nun passenderweise im Rahmen des Film- und Fernsehfestivals Co-logne Conference im Residenz-Kino auf großer Leinwand statt im Heimkino.