Echte Liebe, falsches Lächeln

Biopic einer Las-Vegas-Legende:

»Liberace« von Steven Soderbergh

Das Grübchen am Kinn soll bleiben, darauf besteht Scott Thorson vor der Operation. Unters Messer legt er sich aus abseitigen Gründen: Der junge Mann ist der Liebhaber des (deutlich älteren) Show-Pianisten Liberace, und diesem genügt es nicht mehr, dass er Thorson in einer von ihm eingerichteten Kitsch-Villa wie in einem goldenen Gefängnis hält — er soll ihm nun auch noch mit Hilfe plastischer Gesichts-Chirurgie möglichst ähnlich werden. Thorson, vor wie nach der OP eindrucksvoll von Matt Damon verkörpert, fügt sich, besteht jedoch auf dem Grübchen, einem letzten, eher negativen Zeichen der eigenen Identität.

 

Wie Thorson auf diese Weise von Liberace (gleichfalls eindrucks-voll: Michael Douglas) buchstäblich mit Haut und Haaren besessen wer-den kann, wie sich sexuelle und ökonomische Abhängigkeiten erst gegenseitig bedingen, wie Liebesbeziehung und Geschäftsbeziehung irgendwann aber doch nicht mehr miteinander vereinbar sind, das zeigt »Liberace — Zu viel des Guten ist wundervoll« (im Original, viel eleganter: »Behind the Candelabra«). Es ist ein Film über die Auflösung leiblicher Individualität in Zeiten eines immer umfassender auf seine Subjekte zugreifenden Kapitalismus, darin eng verwandt mit zwei anderen jüngeren Werken des Regisseurs Steven Soderbergh: »The Girlfriend Experience« und »Magic Mike«. Denen stellen Liberaces Eskapaden in gewisser Weise eine historische Grundierung zur Seite: Die Handlung setzt 1977 ein und vollzieht nach, wie die von den Gegenkulturen der 60er und 70er Jahre vernachlässigten Körper wieder produktiv gemacht werden. Gleichzeitig aber ist das auf Thorsons Memoiren basierende Drama einer der wenigen Soderbergh-Filme, die derartige konzeptionelle Überlegungen in echte Kinoemotionen übersetzen.

 

Paradoxerweise ist »Liberace« gleichzeitig der erste Film nach dem lange angekündigten Rückzug So-der-berghs aus dem Kino — in Europa erhält das Biopic zwar einen regulären Start, eigentlich wurde es aber für den amerikanischen Pay-TV-Sender HBO produziert. Vielleicht sind es tatsächlich die menschlicheren Dimensionen des Fernsehens, die Soderberghs früher oft allzu akademisch anmutenden Stil humanisiert haben: Weil die Regie sich im Zweifel lieber zurück-nimmt, als immer nach den klügsten aller Bilder zu suchen, stellt sich die ökonomische Analyse nie vor die Unmittelbarkeit des Gefühls. Vor allem anderen ist »Liberace« ein ehrlicher, anrührender Film über die Schmerzen, die die Liebe auch dann hinterlässt, wenn sie dem Kalkül entspringt — und in den chirurgisch gestrafften Gesichtszügen keine Spuren hinterlassen kann.