Dicke Eier

Visionär: Helge Schneiders »00 Schneider — Im Wendekreis der Eidechse«

Roy Schneider tut Dienst bei der »Police«. Er ist der einzige Nichtraucher dort und wird deshalb von seinen Kollegen immer auch ein bisschen bemitleidet, denn: »Solange man lebt, soll man rauchen« (Leutnant Körschgen). Da Roy ein Netter ist, lässt er sich bei der Sicherung eines Tatortes nicht groß bitten und packt gleich mal ein paar Stangen Zigaretten in diverse Beutel. Wenn da wer was gegen sagen würde, gäb’s ruckizucki ’was auf die Fresse. So ist das nämlich bei der Police: Ständig gibt’s auf die Fresse. Daran muss man sich gewöhnen, denn wie Helge Schneider schon zu Beginn seiner Autobiographie schreibt: Man wird nicht zum Polizisten geboren (oder so ähnlich). 

 

00 Schneider 2013 ist auch ein anderer als 00 Schneider 1994, als er als Kinokommissar noch Nihil Baxter jagte. Aber wer wollte das wiederum schon so genau sagen bei einem Mann mit so vielen Ge-sich-tern? Rauer geht’s hier sicherlich zu, passend zu Schneiders breitbeinigem, überdimensional dicke Eier andeutenden Gang und der in knallhartem 16 Millimeter eingefangenen, grau schillernden Pracht des verfallenen Mühlheim an der Ruhr.

 

Die meisten Darsteller sind Musiker oder gehören zu Schneiders Entourage, was sie sozusagen zu Mitmusikern macht. Denn »00 Schneider — Im Wendekreis der Eidechse« ist mehr als alle Helgereien bislang eine Jazz-Komposition für Auge und Ohr. Die Handlung dieser von nur wenig Gesang animierten undergroundigen Heimatfilm-Torte mit Krimiglasur und Fantasy-Sahnehäubchen, verziert mit Horror-Kirschen, beschränkt sich darauf, dass ab und an etwas passiert. Für eine gewisse erzählerische Kausalität wird aber durchaus Sorge getragen (Wunder inklusive), auch wenn sich niemand darum schert, jeden Hühnerschiss (in einem Film voller eklatant viel scheißender Hühner) zu erklären. Es ist doch auch egal, warum da im Policepräsidium in einem Büro stän-dig ein Typ mit Schlapphut in einer Ecke steht und glotzt, wenn’s dort sichtlich niemanden interessiert.

 

»00 Schneider — Im Wendekreis der Eidechse« entwickelt sich aus Stimmungen, Motiven und Gestalten, die auf- und abtauchen — wie etwa ein Darsteller im zauseligen Gorillagewand, der ein entflohenes Zoogeschöpf spielt, das nur einmal im Film herumkaspert (im Café, wo Roy ein leckeres Stück Kuchen zum Kaffee verzehrt).

 

Doppel-, Drei-, Vielfachrollen finden sich einige; Männer spielen oft Frauen. Das Ruhrgebiet wird zum Märchenwald, das Kino zur letzten Freistatt für Schwärmer und Träumer. Und Helge Schneider zum ein-zig hier verbliebenen Kino-Visionär.