Sommer, Sonne, Einsamkeit

Tragikomödie Deutschland: »Finsterworld« von

Frauke Finsterwalder

Die Sonne scheint ohne Unterlass auf die Menschen in Frauke Finsterwalders »Finsterworld«: Auf den Fußpfleger Claude (Michael Maertens), der auf dem Weg zu seiner Lieblingsklientin im Altersheim ist, auf den Polizisten Tom (Ronald Zehrfeld), der im Kofferraum ein riesiges Stofftierkostüm mit sich führt, auf die Schüler des Ge--schichts-Leistungskurses, die auf dem Weg zur KZ-Gedenkstätte sind, auf das versnobte Ehepaar (Corinna Harfouch, Bernhard Schütz), das im vollklimatisierten Allradgefährt Richtung Paris braust. Aber unter dem wolkenlosen Himmel, in den hellen, aufgeräumten Landschaften braut sich etwas zusammen in den Seelen der Menschen, die dieses befremdlich gut aussehende Deutschland bevölkern.

 

Abgründe tun sich auf. Die Horn-haut, die Claude vom Fuß der alten Dame abschabt, wird in einen Gebäckteig gemischt, das Eisbären-kostüm zur erotischen Kuschel-par-ty übergestreift und eine Mitschülerin in den Verbrennungsofen des KZ-Krematoriums ge-schubst. Die Figuren und Er-eignisse verbinden sich — nicht zu einer folgerichtigen Handlungskette, sondern zu einem Schicksalsgewebe, das dem Lebensgefühl in diesem schönen, herzlosen Land auf den Grund gehen will.

 

Mit einem kaleidoskopischen Blick versuchen sich Finster-walder und ihr Drehbuchautor, der Schriftsteller Christian Kracht (»Imperium«), an einer seelischen Zustandsbeschreibung Deutschlands. Dabei geht es ihnen nicht um aktuelle politische Verweise oder die realistische Abbildung gesellschaftlicher Zustände, sondern um das, was in den Herzen der Menschen vor sich geht.

 

Tief dort drin finden sie eine grausame Kälte, die nur punktuell durch die funktionale Benutzeroberfläche hindurch bricht. Und Sehnsüchte. Nach einer Nähe, die sich in der Liebesbeziehung nicht herstellen will und deshalb in Ersatzritualen, auf so genannten »Furry-Partys« oder bei der medizinischen Fußpflege gesucht wird. Nach einer Berührung, die alles schlagartig verändern kann.

 

Für die Figuren hält »Finsterworld« dramatische wie komische Wandlungen und Ereignisse bereit. Das Happy End ist dabei ein Zufalls-produkt des Lebens, das nicht je-dem vergönnt ist. Es ist die nüchterne und gleichzeitig einfühlsame Haltung zu seinen Figuren, die die--sen eigensinnigen Film auszeich-net, der mit einem ausnahmslos hervor-ragenden, präzise agierenden En-sem-ble auftrumpfen kann. Sollte irgendwann einmal eine Nach--fol-gerin für Michael Haneke gesucht werden, gehört Frauke Finsterwalder ganz oben auf die Liste.