Die Form der Schädelwindungen

Die freie Gruppe c.t. 201 feiert im Mai ihr zehntes Jubiläum.Nicole Strecker traf Regisseur und Leiter Dietmar Kobboldt zum Gespräch

»Wir haben kürzlich was entdeckt«, sagt Dietmar Kobboldt plötzlich, gerade als man gehen will. Gespannt setzt man sich wieder hin, denn vielleicht kommt es ja jetzt, das Geheimnis von c.t. 201: »Immer geht es bei uns um ein ähnliches Thema: um das gespaltene Ich, das Ich, das nicht eins werden kann.« Rasch murmelt er sich durch die 13 Produktionen, die im Laufe ihrer nun 10-jährigen Arbeit entstanden sind, um die These zu überprüfen. Er streift Highlights: die allererste Inszenierung, Heiner Müllers »Hamletmaschine«, Goethes »Iphigenie«, für die sie 1995 den Kölner Theaterpreis bekamen, Lessings »Nathan«, der für Kobboldt den Höhepunkt seines Stils bei den c.t.-201-Klassikerinszenierungen bedeutet, oder die jüngst ebenfalls mit dem Theaterpreisgekrönten »Sinfonien des Johannes Brahms«.

Rans ans Herz der Zuschauer

Doch, immer war da diese Kluft, meint der Regisseur: »Das Ich, wie es sich nach außen verhält, und das Ich, wie es drinnen aussieht. Es geht uns nicht um Psychologie, sondern darum eine Form zu finden, in die Windungen des Schädels zu gucken.« Charakterstudien sind deshalb die Inszenierungen von c.t. 201 nie, dem freien Kölner Ensemble mit dem Namen einer Scheinwerfer-Folie. Man findet keine realistischen Figuren auf der Bühne, meist sind es seltsame Traumgeschöpfe. Wie eine Hülle streifen die Schauspieler der Gruppe eine Zeit lang ein Stückchen Text über, leihen ihm Körper und Stimme und lassen dieses filigrane Ich weitergleiten, wie die Seifenblasen, die am Ende der »Nathan«-Inszenierung durch den Raum schweben. »Wir wollen nicht ans Hirn, sondern ans Herz der Zuschauer ran«, bringt Kobboldt die c.t.-Ambitionen auf eine Formel.
Überhaupt hat er viele schöne Sätze parat: »Demokratie und Theater schließen sich aus«, ist so einer. Oder: »c.t. 201 ist kein Kollektiv.«

Lauernde Abgründe

Keine Frage, Kobboldt ist der Boss des Ensembles – mit offensichtlichem Widerwillen gegen das Harmoniegesäusel mancher freier Gruppen. Er war es, der 1992 unbedingt die »Hamletmaschine« an der Studiobühne machen wollte, auf später vertröstet wurde und aus Frust sein eigenes Ensemble gründete. In Gummersbach war Premiere – wie auch später noch einige Produktionen zuerst am dortigen Theater »getestet« werden sollten –, aber am 1. Mai 1993 gab es dann doch die erste Vorstellung des Müller-Stücks in der Studiobühne. Seither ist der Ort, als dessen stellvertretender Leiter Kobboldt heute auch arbeitet, die Stammspielstätte des Ensembles. Bei c.t. 201 führt er Regie, trägt die Verantwortung und sorgt dafür, dass alle Schauspieler auf jeden Fall die vereinbarte Grundpauschale bekommen. Er macht die Besetzung, sucht die Stücke aus, kreiert sie in Teilen auch selbst.
So geschehen bei »Brahms«. Vier fiktive Biografien schrieb er seinen Akteuren auf den Leib. Dann ließ er sie in verschiedenen Situationen aufeinander treffen und sich »kennen lernen«. Brahms’ Kompositionen gaben die Atmosphäre für die Proben vor – aber teilweise, so Kobboldt, konnten sie nur mit den Klavierfassungen der Sinfonien arbeiten, weil die wuchtige Musik zu emotionalisierend auf die Schauspieler wirkte. Abgründe lauern ohnehin oft bei den c.t.-Produktionen. Aber gerade die Augenblicke, in denen die Konstruktionen des Menschen sich als zerbrechlich und gefahrenvoll erweisen, wo geformte Strukturen sich auflösen, Angst und Zweifel sich breit machen, sind vielleicht die intensivsten in ihren Inszenierungen.

Intellektuelles Rätselraten

Trotzdem betont Kobboldt die Rolle des Humors. Wer für die einzelnen Produktionen jeweils neu zur Kernbesetzung – Heidrun Grote, Tomasso Tessitori, Sunga Weineck und die Musikerin Barbara Gesche – dazukommt, wird zu Probenbeginn erst mal mit Ballspielen konfrontiert. »Humor ist die Chance, Abstand zu den Gefühlen zu gewinnen«, lautet ein weiteres Mantra Kobboldts. Bei ihrer vorletzten Arbeit, »Mythos« von Martin Kuchejda, ist der zeitweilig allerdings verloren gegangen. Wenige Wochen vor der Premiere stellte der 11. September 2001 alles in Frage. Der Terroranschlag war genau eine jener Katastrophen, die im Stück in der historischen Reflexion zu Mythen verklärt werden. Statt den Begriff des Mythos ironisch zu dekonstruieren, rutschte die Inszenierung mehr in eine Art intellektuelles Rätselraten ab, welches geschichtliche Ereignis, welche prominente Persönlichkeit nun gerade gemeint sei.
Wie in »Mythos« wagt sich c.t. 201 neben den Klassiker-Inszenierungen immer wieder an collagierte Projekte. Ein Stück zur Heisenbergschen Unschärferelation könnte auf Schillers »Räuber« folgen, die Ende Mai zur Premiere kommen. Vorausgesetzt, es gibt in Zeiten des Haushaltsabsturzes noch Geld von der Stadt. Kobboldt wird kritisch: »Ich sage ganz klar: Ohne Zuschuss von der Stadt gibt es kein c.t. 201 mehr«. Genau wie die Finanzierung der gesamten Freien Szene sind auch die Zuschüsse für c.t. 201 nur noch bis Ende August gesichert. Aber Kobboldt hofft auf die Fortsetzung der Förderung. Dass dann auch wieder das in der Kölner Szene fest etablierte c.t.-Team dabei wäre, dürfte gewiss sein. Die Suche nach dem Ich muss weitergehen.

Info: www.theaterszene-koeln.de/ct201/
index.htm
»Die Sinfonien des Johannes Brahms«, ein abenteuerliches Stück Musiktheater, R: Dietmar Kobboldt, mit Heidrun Grote, Christina Vayhinger, Jürgen Clemens und Sunga Weineck, Studiobühne, 2.-6.5., 20 Uhr.
»Die Räuber« von Friedrich Schiller, R: Dietmar
Kobboldt, Studiobühne, 23. (Premiere), 25.-31.5., 20 Uhr.