Foto: Manfred Wegener

Schöne Aussichten

Anfang Oktober vermeldeten Zeitungen bundesweit, dass der

Energiekonzern RWE über das Aus für den Tagebau Garzweiler ­nachdenke. Das Geschäft mit der Braunkohle wird unrentabler.

Eine Zukunft ohne den Klimazerstörer Nummer eins im Rheinland? Kaum vorstellbar. Nicht betroffen von diesen Über­legungen ist die zweite große Grube im Rheinischen Revier: der Ham­bacher Tagebau, das größte Loch Europas, direkt vor den Toren Kölns.

 

Chris­tian Werthschulte hat mit Dirk Jansen vom BUND über die Zukunft der Braunkohle gesprochen, Anne Meyer und Christian ­Steigels haben sich rund um den Tagebau umgesehen und Manfred Wegener war mit der Kamera unterwegs. Alle haben festgestellt:

Der Tagebau wird uns noch lange begleiten.

»Diese alten Braunkohlen-Möhren«


Dirk Jansen vom BUND über die Zukunft der Braunkohle, die Rolle der SPD und den ausbleibenden Massen-protest

 


Herr Jansen, laut einer aktuellen Studie der Bundesnetzagentur wird der Anteil von Braunkohle am Energiemix bis 2022 nicht sinken. Woran liegt denn das?

 

Die Bundesnetzagentur geht von falschen Prämissen aus. Die ökonomische Situation der Braunkohle verschlechtert sich gerade rapide. Zum einen sinkt durch die erneuerbaren Energien der Börsenstrompreis der Braunkohle. Zum zweiten brauchen wir den Grundlaststrom aus der Braunkohle zunehmend weniger, wie auch eine Studie des Deutschen Instituts der Wirtschaft festgestellt hat. Diese fordert flexible Kraftwerke für die »Residuallast«, die bei Windstille und fehlen-dem Sonnen-schein übrigbleibt. Das können diese alten Braunkohlen-Möhren überhaupt nicht. Diese Nachteile werden die Braunkohle zunehmend aus dem Markt -drängen. Das hat man auch bei RWE verstanden, nicht umsonst kamen vor wenigen Wochen Gerüchte auf, dass der Konzern über eine Schließung von Garzweiler?II bis 2018 nachdenke.

 

 

Wie hoch ist denn der Anteil von Braunkohle am Energie-Mix?

 

Bundesweit liegt er bei 25, in NRW aber bei 45?Prozent. Dazu kommen noch 30 Prozent Steinkohle. Drei Viertel der Bruttostromerzeugung in NRW basieren also auf Kohle, dem dreckigsten Energieträger. Der Anteil der erneuer-baren Energien liegt nur bei 7?Prozent. Bundesweit sind es 25?Prozent. Wir haben da enormen Nachholbedarf. NRW ist das Energieland Nummer Eins, aber es produziert auch ein Drittel aller bundesweiten Treib-haus-gas-emissio-nen. Wir haben deshalb ein Braunkohleausstiegsgesetz vorgeschlagen, das aber bereits von der Presse zerschossen wurde, bevor es in den Landtag kam. Es ist schwierig, solche Ideen überhaupt einzubringen.

 


Ist denn die Braunkohle ein subventionsfreier Energieträger wie RWE lange behauptet hat?

 

Bereits vor zehn Jahren hat das Umweltbundesamt aufgezeigt, wo versteckte, indirekte oder direkte Subventionen bei RWE auftauchen oder sie von bestimmten Auflagen und Abgaben befreit sind. Das summiert sich jedes Jahr zu Milliardenbeträgen. Damit wird erst langsam Schluss gemacht. Auch der Braunkohlestrompreis spiegelt nicht die reellen Kosten wider, weil zum Beispiel die Kosten für Umweltschäden externalisiert von der Allgemeinheit getragen werden. 

 


Lange war gerade die NRW-SPD die Partei der Braunkohle. Hat sich das nach den fünf Jahren auf der Oppositionsbank mit der jetzigen rot-grünen Regierung geändert?

 

Die SPD hält in Treue fest zur Kohle — die CDU auch, allerdings weniger ideologisch. Die SPD stellt sogar neue Subventionen für die Braunkohle in Aussicht, obwohl die Landesregierung Anfang des Jahres ein einmaliges und fortschrittliches Klimaschutzgesetz verabschiedet hat, mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 25 Prozent zu verringern. Das passt nicht zusammen. Hinzu kommt: Die SPD und die Gewerkschaften verweisen immer auf die Arbeitnehmerbelange. Aber RWE hat den letzten 15 Jahren gnadenlos Personal abgebaut und gerade angekündigt, 3000 weitere Kraftwerker auf die Straße zu setzen. Sie werden für den regionalen Arbeitsmarkt immer weniger wichtig.

 


Wie transparent ist das Genehmigungsverfahren für den Braunkohleabbau?

 

Das ist hochkomplex. Zunächst legt die Landesregierung in Abstimmung mit dem Braunkohlenausschuss, der bei der Bezirksregierung Köln sitzt, einen Braunkohlenplan fest. Gegen einen solchen Braunkohlenplan existieren keine Klagemöglichkeiten, obwohl der Tagebau ja damit schon das grüne Licht im planerischen Sinne erhält. Der eigentlich Abbau wird im bergrechtlichen Verfahren über  Rahmenbetriebs- und Hauptbetriebspläne genehmigt. Wir haben im letzten Jahr einen solchen Hauptbetriebsplan für den Tagebau Hambach beklagt. In der ersten Instanz haben wir verloren, wobei das Gericht rein formal argumentiert. Wir haben aber gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt. Zudem wird in Kürze unsere Verfassungsbeschwerde gegen den Tagebau Garzweiler II entschieden.

 


Warum gab es denn bei der Braunkohle nie so eine massenwirksame Protestbewegung wie bei der Atomenergie?

 

Jahrzehntelang war der Tagebau abgesehen von unseren Aktivitäten und den heftigen politischen Auseinandersetzungen Mitte der 90er Jahre eher ein regionales Thema. Zudem ist das Rheinland traditionell eine konservative Gegend, die niederrheinische Bucht ist Stammland der CDU und der katholischen Kirche. Es hat zwar zu Beginn der 80er Jahre Massenproteste von den Betroffenen gegeben, mit Erteilung der Genehmigungen ist dieser Widerstand aber abgeebbt. Ich kann das auch verstehen, weil die Tagebauvorhaben in Garzweiler und Hambach die Leute seit den 60ern beschäftigen. RWE hat einfach immer weiter gebaggert. Da muss man irgendwann schon aus Selbstschutz sagen: »Ok, gefällt mir zwar immer noch nicht, aber ich mach’ jetzt aus dem Rest meines Lebens noch was Positives. Ich bau‘ mir irgendwo ein neues Haus.«

 


RWE will mit Kulturprojekten wie dem Eventforum Terra Nova mehr Akzeptanz erreichen. Denken Sie, dass diese Strategie aufgeht?

 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die das ernst nehmen. Bislang fehlt aber im Gegenteil auch ein Verständnis in der Region, dass es auch Entwicklungspotenziale jenseits der Braunkohle geben könnte. Obwohl es da viele gibt. Wir haben Universitäten drumherum: Köln, Aachen, Düssel-dorf. Da ist unglaublich viel Know-How in der Region. Es gibt da etliche Ansatzpunkte für ein erfolgreiches Wirtschaften jenseits der Braunkohle. Aber dafür muss man aber auch erstmal das klare Ausstiegsszenario haben.

 


RWE wirbt außerdem mit dem Artenschutz für seine Renaturierung. Warum sollten Biotope für den Ex-Tagebau falsch sein?

 

In Hambach wird ein sehr artenreiches, streng geschütztes Biotop durch die Bagger zerstört. Der Ham-bacher Wald ist vom Naturschutzwert, der Größe und dem Arteninventar das Beste, was wir in dieser Gegend haben. Wir haben da sehr viele streng geschützte Arten, z.B. zwei Kolonien der Bechsteinfledermäuse, Mittelspechte, viele andere Fledermäuse, Haselmäuse, geschützte Amphibien. Der Eingriff in den Lebensraum dieser streng geschützten Tiere ist nach dem Gesetz verboten — das dürfen die gar nicht. Um eine Ausnahme-genehmigung zu erhalten, will RWE über viele Jahrzehnte Ackerflächen in Lebensräume für Bechstein-fledermäuse umwandeln, damit diese das freudig erregt annehmen und dann um-ziehen. Das wird vielleicht in 20 bis 50 Jahren mal funktionieren,
aber was ist jetzt? 

 

 

Kann die Taktik, den Artenschutz gegen die Braunkohle ins Feld zu -werfen, denn aufgehen?

 

2005 haben die Grünen die NRW-Wahl ver-loren, weil Ihnen — fälschlicherweise — vorgeworfen wurde, das Wohl eines Feldhamsters höher zu bewerten als ein fortschrittliches Kohlekraftwerk. Wir haben das damals als »Missbrauch der Umweltfrage« bezeichnet. In Hambach sind immer noch mehrere hundert Hektar dieses einzigartigen Waldökosystems vorhanden. Und es kann doch schlechterdings nicht angehen, dass die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag Strate-gien zum Erhalt der biologischen Vielfalt vereinbart, während gleichzeitig das Wertvollste, was wir an Natur in NRW haben, dem Erd-boden gleich gemacht wird.