Foto: Manfred Wegener

Stolpersteine, mitten in Köln

Kirsten Serup-Bilfeldt erzählt die Lebensgeschichten von höchst unterschiedlichen Kölnerinnen

und Kölnern, die eines gemeinsam haben: Sie wurden von den Nationalsozialisten ermordet

Max Schönenberg ist ein gründlicher Tagebuchschreiber. Silvester 1919 notiert er: »Die Politik ist weiter unerfreulich. Die Lebenshaltung wird immer teurer. Die Steuern immer höher. (...) Es wird noch mal drunter und drüber gehen. Die Mehrheit der Bürger und Beamten wartet auf eine starke Regierung.« Doch Max Schönenberg scheint sich getäuscht zu haben mit seinen Befürchtungen. Seine 1918 eröffnete Kölner Arztpraxis in der Bismarckstraße 38 läuft immer besser, im März 1920 bekommen er und seine Frau Erna einen Sohn: Leopold. Sieben Jahre später kann sich die Familie eine größere Wohnung leisten: Die Schönenbergs ziehen in die Venloer Straße.

Kleine Würfel im Straßenpflaster

In den Bürgersteig vor dem Haus in der Venloer Straße 23 ist eine kleine Messingplatte eingelassen. Darauf stehen die Namen Max und Erna Schönenberg. 1942 wurde das Ehepaar nach Theresienstadt deportiert. Max stirbt dort am 8. Januar 1943, Erna wird weiter deportiert nach Auschwitz. Das Datum ihres Todes ist unbekannt.
»Stolpersteine« nennt der Kölner Künstler Gunter Demnig die kleinen Betonwürfel mit den Messingplatten. Sie enthalten Namen, Geburts- und Todesdaten. Demnig verlegt sie überall dort, wo Menschen gelebt haben, die von den Nationalsozialisten getötet wurden.
In Köln hat er in den letzten sechs Jahren etwa 1.400 dieser kleinen Würfel im Straßenpflaster versenkt.

Suche nach Lebensspuren

Die Journalistin Kirsten Serup-Bilfeldt beschreibt nun in ihrem soeben erschienenen Buch »Stolpersteine« die Lebensgeschichten von einigen wenigen Menschen, deren Namen auf den Messingplatten stehen. Serup-Bilfeldt versucht nicht, die nationalsozialistische deutsche Gesellschaft zu erklären, sie analysiert nicht das System der Vernichtung. Serup-Bilfeldt beschreibt direkt und konkret, was sie in ihren Recherchen in Erfahrung bringen konnte – und hinter den Namen wird das Leben von höchst unterschiedlichen Kölnerinnen und Kölnern erkennbar, vereint nur dadurch, dass sie alle von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Die schwierige Suche der Autorin nach den Lebensspuren klingt bei ihren Berichten häufig mit: »Manchmal haben die Nationalsozialisten eben doch auf ganzer Linie gesiegt: Sie haben nicht nur die Menschen ermordet, sondern gleichzeitig die Erinnerung an sie ausgelöscht«, schreibt Serup-Bilfeldt in dem Kapitel über Gerda und Rolf Ernst Lenneberg, deren Namen auf einem »Stolperstein« in der Frechener Straße 7 stehen. Sie unterhielt sich mit früheren Nachbarn, Freunden und Verwandten, suchte in Archiven und Nachlässen.
So entstanden kurze Berichte: Von dem Kommunisten Engelbert Brinker, der zu der Widerstandsgruppe »Nationalkomitee Freies Deutschland« gehörte, die sich regelmäßig am Sülzgürtel 8 traf. Als die Gruppe aufflog, wurde auch Brinker verhaftet. Er wurde im Gestapo-Gefängnis in Brauweiler zu Tode gefoltert. Oder von Josef Johann Mumbour, dem Geschäftsführer des berühmten Homosexuellen-Lokals »Dornröschen« in der Friedrichstraße 15, nahe dem Barbarossaplatz. Mumbour starb am 8. Februar 1945 im KZ Dachau. Oder eben von dem jüdischen Ehepaar Schönenberg.

Vor den Beschwerdeausschuss

Dass der bloße Hinweis auf das Leben dieser Menschen auch heute noch als Störung empfunden wird, zeigt der Protest eines Lindenthaler Hausbesitzers gegen zwei »Stolpersteine« vor seiner Tür. Weil sie auf dem Bürgersteig, also städtischem Boden, liegen, wandte er sich an den Beschwerdeausschuss der Stadt: Seine Familie und er würden in ihrem »persönlichen Lebensbereich verletzt«, zitiert der Kölner Stadt-Anzeiger den Anwohner. Außerdem seien die Steine ein »Vermögensschaden«, denn sie stellten eine »ganz erhebliche Erschwernis im Fall des Verkaufs oder der Vermietung der Wohnung« dar.
Der Beschwerdeausschuss empfahl, der Künstler solle künftig vor der Verlegung Kontakt mit den Hausbewohnern aufnehmen. Zu noch größeren Protesten führten die »Stolpersteine« im kleinen Brühl. Nach kontroversen Diskussionen entschied die Stadt: Obwohl die Steine in öffentlichem Grund ruhen, darf Demnig sie nur dann verlegen, wenn die Eigentümer der betreffenden Häuser zustimmen.

»Vielleicht leben die Nachbarn noch«

Die Wirkung der »Stolpersteine« als dezentrales, in der Stadt verstreutes Mahnmal wird durch die Lebensgeschichten in Serup-Bilfeldts Buch noch unterstützt. Denn das ist das wirklich anstößige der unscheinbaren Messingplatten: Sie zeigen, dass die Menschen mitten aus der Stadt, mitten aus Köln verschwanden, dass sie Freunde hatten, Nachbarn, Arbeitskollegen.
»Vielleicht leben die Nachbarn noch«, schreibt Elke Heidenreich in einem einleitenden Beitrag zu dem Buch, »und vielleicht haben sie damals furchtsam hinter den geschlossenen Gardinen oder dreist auf ein Kissen gestützt am offenen Fenster den Abtransporten zugeschaut, jener Tragödie, von der dann später keiner gewusst hat«.

Info
Kirsten Serup-Bilfeldt: Stolpersteine. Vergessene Namen, verwehte Spuren. Wegweiser zu Kölner Schicksalen in der NS-Zeit. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, 160 S., 8,90 Euro.
Wer einen »Stolperstein« spenden möchte, kann sich direkt an Gunter Demnig wenden: Tel. 25 14 89, E-Mail: demnigkoeln@aol.com.