Die 50-Cent-Masche

Max Annas streift durch den Altenberger Märchenwald

Altenberg ist ein Begriff in Köln, wegen des Doms. Der ist zwar nicht ganz so groß wie der eigene, der das Leben und die Geschichte weit überragt, aber doch schon ein Monument von epischen Ausmaßen. Allerdings weiß fast niemand hier, wo Altenberg tatsächlich zu finden ist – lediglich Orgelliebhaber und Kenner klassischer Kirchenmusik geben spontan Antwort. Das klären wir also zunächst mal auf: nördlich von Bergisch Gladbach, auf halbem Weg nach Leverkusen. Altenberg ist ein Teil des beschaulichen Ortes Odenthal.
Eine dem Gotteshaus angemessene Stadt Altenberg gibt es nicht. Da sind nur zahllose Parkplätze, auch für Busse geeignet und umsonst; Ausflugslokale und Hotels mit großzügig angelegten Außengastronomien rund um den Dom am historischen Platz; Souvenir-Shops mit Heiligenbildchen und Reliquien, die dem Buße bedürftigen Publikum gemäß mit gedeckten Farben gestaltet sind; da ist die Dhünn, die sich in Leverkusen unweit von Ulrich-Haberland-Stadion (heute: BayArena) und Wilhelm-Dopatka-Halle ihren Weg in die Wupper sucht – und es gibt einen Märchenwald, der keine Konkurrenz zu scheuen braucht.

Märchenstationen

Diese Altenberger Attraktion liegt etwas außerhalb des Weilers, und wer nicht zufällig Einheimischen über den Weg läuft oder einem der seltenen Wegweiser begegnet, tut sich vielleicht schwer, die nördlich der Kirche gelegene weitläufige Anlage zu finden.
Hinter der gigantischen Restauration beginnt man, einen kleinen Berg zu besteigen. Ein Rundweg führt vorbei an den 20 Märchenstationen. Die sind hübsch übersichtlich in kleinen Häuschen untergebracht, in denen die wichtigsten Szenen mit Figuren dargestellt sind. So bricht das garstige Raubtier bei »Der Wolf und die sieben Geißlein« gerade durch die Tür, als sich die aufgescheuchten Ziegenkinder hektisch in Sicherheit zu bringen suchen. Dazu gibt – zumeist ausgelöst durch Knopfdruck – ein scheppernder Lautsprecher die komplette Geschichte preis, was für kleinere Kinder mitunter so lang werden kann, dass sie das Happy End entnervt versäumen.
Die tiefe Erdung der Anlage in der aufkeimenden Freizeitgesellschaft der späten 50er und 60er Jahre ist deutlich zu hören im Stil dieser Erzählungen. Raubtiere haben Männerstimmen und Tierkinder werden von Frauen gesprochen – genau wie auf den Märchen-LPs von Europa, mit denen wir aufgewachsen sind.

Knüppel aus dem Sack

Manche der Arrangements funktionieren nicht auf Knopfdruck, sondern durch akustische Signale, und bringen sogar Bewegung in die Sache. So wird man unterhalb der Station »Rumpelstilzchen« aufgefordert, laut »Rumpelstilzchen« zu rufen. Klar, dass das auch mit »Kartoffelsalat« und »Psychotherapie« geht – der Sensor unterscheidet da nicht groß. Apropos Therapie: Das aus dem hoch gelegenen Fenster heraus preschende Rumpelstilzchen kann bei Kindern einen durchaus so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass wochenlange Aufarbeitung als gesichert gelten kann. Erwachsene machen sich gemeinhin in kurzer Zeit recht locker, so dass sie sich nicht scheuen, einige Häuser weiter auch vor Publikum laut »Knüppel aus dem Sack« zu rufen, damit der Nachwuchs den Prügel in Aktion sieht.

Willkommen im Rheinland!

Faszinierend an der waldigen Anlage, 1931 mit fünf Märchenhäusern eröffnet, ist die meilenweite Entfernung zu allem, was heute unter Freizeitpark läuft. Nirgends eine Pizzabude mit Ventilator, der Oregano- und Knoblauchgeruch verbreitet. Keine Zuckerwatte und kein knallgrünes Synthetik-Eis, das Kinder quengeln macht. Es geht nur um die Märchen, um einen gemütlichen Spaziergang und um Unterhaltung für Jung und Alt. Der Papierstaubsauger in Form eines Ziegenkopfes deklamiert nach der Fütterung lautstark: »Isch bin so satt, isch maach kein Blatt!«. Darüber können 4-Jährige noch nicht lachen. Willkommen im Rheinland.

Karussell gegen Autoskooter

Weit entfernt von allen heutigen Konzepten ist auch die Idee mit den Münzschlitzen. Helikopter, Reitpferdchen und ein museales Karussell, das 1-Jährige schon als zu langweilig abtun, wollen mit 50-Cent-Münzen gefüttert werden, genauso wie ein Hau-den-Lukas, der wie stets zuverlässig Erfolg im Spiel mit Erfolg im Bett gleichsetzt. Dazu passt ästhetisch, dass im Kiosk zwischen Märchenpostkarten, Märchenvideos und Andenken auch Wundertüten angeboten werden: hellblau für Jungs, rosa für Mädchen.
Alle Eltern hoffen zuletzt, dass der etwas abseits gelegene Autoskooter nicht in den Wahrnehmungsradius des unterhaltungssüchtigen Nachwuchses gerät. Die Hoffnung stirbt zuletzt, und zuletzt, eine Sekunde vor dem Verlassen der Anlage, rennen alle Kinder schließlich doch zu den kleinen Selbstfahrern. Das macht – natürlich – einen halben Euro. Letztendlich ist die 50-Cent-
Masche natürlich eine Landplage, und wer beim Besuch der Toiletten den über dem Wasserhahn angebrachten Hinweis »Kein Trinkwasser« liest, fragt sich unweigerlich, ob das ein sanfter Hinweis darauf ist, dass man Getränke am Kiosk zu kaufen habe.

Info
Informationen zum Märchenwald gibt es unter Tel. 02174 / 40454, das ist die Nummer von Restaurant und Anlage. Als Anhang der Internetseiten des Altenberger Doms sind einige Eindrücke der Märchenhäuser zu gewinnen: www.altenberger-dom.de/ marwald/mw1.htm. Der Eintritt für Erwachsene beträgt 4 Euro, Kinder ab drei Jahren bezahlen 2 Euro. Geöffnet ist täglich von 9-18 Uhr, im Winterhalbjahr bis 16 Uhr. Die Gaststätte öffnet von 11-18 Uhr, außer freitags.
Anfahrt
Mit Bahn und Bus: Entweder die Regionalbahn bis Leverkusen-Schlebusch nehmen, um dort in den Bus mit der Nummer 112 zu steigen, oder die S-Bahn bis Bergisch Gladbach und dann den Bus 430.
Mit dem Auto: Entweder über die Bergisch-Gladbacher Straße von Köln-Mülheim aus bis ins Zentrum von Bergisch Gladbach oder über die Autobahnausfahrt Holweide der A3 auf die Bergisch-Gladbacher Straße fahren.