Gebündelt zu einer Haltung

Das 3. »Week-End«-Festival feiert den Post-Punk

In den 90er Jahren machte ein Begriff die Runde, der bewusst einen Widerspruch in sich ver-körperte: Indie-Hochkultur. Gemeint war damit, dass sich Spielarten von Independent Music entwickelt hätten, die für sich stünden: weder Ausdruck einer — positiv gesprochen — Jugendkultur noch eines — negativ — Zeitgeistes. Selbstreflexive Rockmusik, an einer Auseinandersetzung mit ihren eigenen Formen interessiert, neugierig auf außereuropäische Musik, offen dafür, mit bildender Kunst in den Dialog zu treten. Als Referenzen wurden Free Jazzer wie Ornette Coleman oder abseitige Songwriter wie Van Dyke Parks zitiert. Musikalisch schlug sich das kaum nieder: die Indie-Hochkultur blieb melodisch wie rhythmisch straight. Freigeistige Über-Bands wie Tortoise waren in der Minderheit.

 

Zwanzig Jahre später spricht niemand mehr von Indie-Hoch-kultur, weil die Entkoppelung von ehemals populären Musikformen und Zeitgeist die Regel geworden ist. Und älter werden wir sowieso alle. Aber wenn es in diesen Tagen eine sinnvolle Verwendung des Begriffes gibt, dann im Zusammenhang mit dem dritten »Week-End«-Festival, das im Dezember in der Mülheimer Stadthalle stattfinden wird. Die Arbeit der Kuratoren Jan Lankisch und Jörg Waschat zeichnete von jeher ein präzises histo-risches Stilbewusstsein aus: Etwa als letztes Jahr Stephen Malkmus (Indie-Hochkultur-Held der 90er Jahre) mit Von Spar (Indie-Hochkultur-Helden der Nuller Jahre) Cans »Ege Bamyasi«-Album von 1972 (klassische Hochkultur) in-terpretierte — und nicht bloß »nachspielte«.

 

Das Ereignis fand natürlich im damals mega-angesagten Ehrenfeld statt. Jetzt also Mülheim, der nächste mega-angesagte Stadtteil. Während das Programm der letzten beide Jahre krautig, psychedelisch, punkig-experimentell war, könnte es jetzt geschliffener gar nicht sein: Es geht um Post-Punk, vielleicht müsste man sogar Post-Post-Punk sagen (wenn das nicht schon albern klänge). Es geht um jene Musik, die dem wüsten, amorphen, im Herzen doch allzu rockigen 70er-Jahre-Punk eine knappe, sich keine falschen oder besser: überflüssigen Emotionen erlaubende Form schneiderte. Streng abgezirkelt, kryptisch bis sarkastisch in der Wortwahl und der Welt lieber ab-gewandt als populistisch zum Pogo auffordernd.

 

Mit Young Marble Giants und The Fall präsentieren Waschat und Lankisch zwei ebenso herausra-gen-de wie gegensätzliche Prota-gonisten der frühen 80er Jahre. Die Young Marble Giants stehen für konsequenten Minimalismus: spar-same Instrumentierung, bloß ange-deutete Melodien, kaum elaborierter weiblicher Gesang. Und ein extrem übersichtliches Oeuvre. Folgerichtig präsentieren Alison Statton und die Brüder Philip und Stuart Moxham kein neues Material, sondern spielen auf dem Week-End ihr einziges Album »Colossal Youth«. Ein Meisterwerk, auf dem alles ganz leicht klingt, aber doch eine beklemmende emotionale Düsternis hervorruft. The Fall beziehen ihre Energie dagegen aus einem Overkill an Zynismus, Weltverachtung und schlechter Laune — und der Tat-sache (oder ist auch das nur ein Gerücht?), dass der reale Mark E. Smith, das einzige Band-Mitglied, das in den 37 Fall-Jahren nicht -ausgewechselt wurde, rauer und wüster ist als sein raues, wüstes Bühnen-Ego. Smith ist kein Ekstatiker, sondern bündelt die Punk-Energie zu einer einzigen Haltung: lakonisch ätzendes Lamentieren über die unzulänglichkeiten un-serer Existenz.

 

Post-Punk war ein britisches und auch deutsches Phänomen (Fehlfarben!), in den USA wurden die Karten anders gemischt, aus dem Hardcore der frühen 80er Jahre erwuchs das, was wir immer noch als Indierock kennen. Exemplarisch für diese Entwicklung steht die Band Hüsker Dü, die vor 35 Jahren Jahren mit Brachialopunk anfing und dann zur All-American-Popband aufstieg. Motoren dieser Entwicklung — die beiden Gitarristen Bob Mould und Grant Hart (damals noch Schlagzeuger der Band), die sich aber, befeuert noch von Drogenproblemen, dermaßen in die Haare kriegten, dass bis heute keine Zusammenarbeit mehr möglich ist. Während Mould bisweilen allzu wahllos gängigen Popstandards folgt, hat Hart zu einem eigenen, klassizistischen Stil gefunden. Hart ist auf dem Week-End mit seinem aktuellen Album vertreten. Was hören wir? Eine Vertonung von John Miltons Vers-Epos »Paradise Lost«. Indie-Hochkultur.

 

Für das, was sich allzu um-ständlich als Post-Post-Punk bezeichnen ließe, stehen die Glasgower The Pastels und der austra-lische Sänger und Gitarrist Robert Forster (The Go-Betweens), die ihre erste große Zeit Mitte resp. Ende der 80er Jahre hatten, die sich also nicht mehr an Punk ab-arbeiten mussten, sondern die Errungenschaften des Postpunk — Reduktion, kalkulierte Naivität, Weltskepsis — für eine eigenständige Gitarrenmusik nutzten. Man darf sich von der Schlichtheit ihrer jeweiligen Musik nicht täuschen lassen, Chart-kompatibel war sie nie. Forster unterstreicht den hohen Anspruch dadurch, dass er seine Stücke zusammen mit einem von Jherek Bischoff (Xiu Xiu) geleiteten Streichquartett aufführt. 

 

Und? Gehen wir stilvoll zu-grun-de? Gehen wir nicht. Das Festival präsentiert noch zwei Acts, die den Weg in die Gegenwart weisen: Mirel Wagner, Finnin mit äthiopischen Wurzeln (oder um-gekehrt) singt existenzialistisch ausweglose Musik in der Tradition Leonard Cohens und Townes van Zandts;  Yuck, ein Londoner Quartett, spielt aufbrausenden, gerne ins Formlose ragenden Gitarrenkrach, der uns über unseren Phantomschmerz nach der Auflösung Sonic Youths hinweghilft.