Das tollere Ich

Im Theater im Bauturm bringt Regisseur Michael Lippold Selbstoptimierer an ihre Grenzen

Das neuste Stück des Dramatikers Lothar Kittstein »Zu spät! Zu spät! Zu spät!« wirft ein Schlaglicht auf die Tendenz unserer Gesellschaft, in teuer bezahlten Kursen sein tolleres Ich zu finden. Fünf solcher Selbstoptimierer treffen in einem abgelegenen Haus inmitten eines tiefen Waldes aufeinander, um den Workshop »work & life« zu besuchen. Sie alle sind selbst Coaches. Der Mentor fehlt, was für Verwunderung sorgt und sich die Profis zugleich als Eisbrecher für den Gesprächseinstieg zu Nutze machen. Die Machtspiele beginnen. Jeder versucht Herr oder Herrin der Situation zu werden. Vor allem für den schüchternen VD (Tobias van Dieken) ist das merkwürdig. Er ist nur wegen eines Missverständnisses zugegen.

 

Das Bühnenbild (Sarah Bernardy) besteht aus fünf mit Tapete bezogenen türgroßen Stellwänden. Wenn darauf nicht per Video Waldbilder projiziert werden, deuten sie die Räume im Haus an. Regisseur Michael Lippold taucht Tag und Nacht in zwei unterschiedliche Stimmungen. Zum einen erzählt er den konfliktgeladenen ersten Tag, in rasch aufeinanderfolgenden, hektischen Szenen. Die Handlungsfragmente werden durch Lichtwechsel und das Geräusch eines Kameraauslösers getrennt. In den kurzen Momenten wenden sich die Schauspieler dem Publikum zu und schauen ertappt »wie das Reh in den Scheinwerfer«, wie es an einer Stelle heißt. Plötzlich spürt man den Stress, die Hetze in der Endlosschleife, der sich die Selbstoptimierer beim Streben nach Erhöhung des eigenen Marktwerts aussetzen.

 

Die Stimmung in der Nacht gerät hingegen melancholisch. Man trinkt Rotwein und spielt Klavier. Die professionelle Fassade bricht endgültig auf. Seelische Wunden offenbaren sich. Die Lebensbeichten wirken allerdings in der gerafften Handlung teils unmotiviert. Dennoch agiert das gut eingespielte Ensemble souverän. Besonders Karin Kettling als scharfzüngige und frustrierte K gibt dem Abend den richtigen Drive. Im Dialog mit Tobias van Dieken entstehen bitter-komische Momente.

 

Der Schwerpunkt liegt ganz auf den Einzelschicksalen. Dabei versinkt die Inszenierung nicht in Belanglosigkeit, sondern hinterfragt die Phrasen und Floskeln der Selbstoptimierung, auch wenn Klischees wie der dauertelefonierende, aggressive Karrierist aufgefahren werden. Für den ganz großen Wurf langt es am Ende nicht. Man hätte sich gewünscht, dass das System, das die Coaches hervorbringt und gleichzeitig als Schmiermittel benötigt, auch als solches hinterfragt wird.