Reise in die Vergangenheit

Rentner-Roadmovie: »Nebraska« von Alexander Payne

Alexander Payne hat eine besondere Begabung, Geschichten in einer Landschaft zu verwurzeln. In »Sideways« waren es die kalifornischen Weinanbaugebiete, in »The Descendants« die Sandstrände von Hawaii. Jetzt also Nebraska, wohin schon Jack Nicholson in Paynes »About Schmidt« unterwegs war. Der alte Woody Grant (Bruce Dern) will dort einen Gewinngutschein einlösen, notfalls zu Fuß, trotz der satten tausend Meilen, die er von seinem Heimatort Billings in Montana zurücklegen muss — und obwohl sich hinter dem angeblichen Millionengewinn offenkundig nur die plumpe Werbemasche eines Zeitschriftenvertriebs verbirgt. So erbarmt sich Sohn David (Will Forte), den debilen Zausel zu fahren, um ihm vor der unausweichlichen Enttäuschung zumindest eine schöne Landpartie zu gönnen.

 

Der Film ist in Schwarzweiß gedreht, und man hat bald das Gefühl, die Entscheidung dafür sei nicht ästhetisch begründet, sondern schlicht den Umständen geschuldet: Die farblose Tristesse des amerikanischen Mittleren Westens ließ keine andere Wahl.

 

Vater und Sohn sind zu einem Zwischenstopp in Hawthorne gezwungen, einem verschlafenen Nest zwischen abgeernteten Maisfeldern und Industrieanlagen, in dem Woody einst aufgewachsen ist. Hier wohnt seine weitläufige Verwandtschaft, soweit sie vor den Segnungen des real existierenden Amerikanischen Traums nicht schon vorzeiten auf den örtlichen Friedhof entkommen ist. Die Männer trinken, fernsehen und reden über Autos. Die Frauen kochen und lästern. Charaktere von schockierender Stumpfheit, aber mit sympathisierender Ironie gezeichnet, vor allem exquisit besetzt und dadurch bei aller Karikatur so erschreckend authentisch.

 

Hier weiß jeder von jedem, dass er ihm irgendwann einmal etwas schuldig geblieben ist. Ein intaktes Biotop, das durch den ungebührlichen Reichtum eines einzelnen jäh aus den Fugen geraten würde. So wird der verlorene Sohn auf seinem Holzweg zur Dollar-Million mit wachsender Arglist behandelt. Aus Glückwünschen werden Bittstellungen, dann Forderungen, Drohungen und zuletzt Handgreiflichkeiten.

 

Woody irrlichtert durch dieses absurde Drama wie der blinde Seher durch eine antike Tragödie. Aus einem Ausbund biografischer Belanglosigkeit haben Payne und sein Drehbuchautor Bob Nelson eine höchst originelle, zunehmend liebenswürdige und tragikomische Figur kreiert. Ausgerechnet Bruce Dern, dieser ewig Unterschätzte der New-Hollywood-Ära, spielt das altersschwache Landei, und das so überzeugend, dass man wirkliches Mitleid mit ihm haben oder ihm ersatzweise einen Preis verleihen möchte. So geschehen in Cannes, wo er dieses Jahr als bester männlicher Hauptdarsteller gekürt wurde. Und weitere Auszeichnungen werden folgen. Da darf man sicher sein.