Späte Annäherung

Dokumentarfilm: »Vaters Garten — Die Liebe meiner Eltern« von Peter Liechti

Sie ist eine empfindsame Seele, die gegen Leid und Egoismus der Welt anbetet, viel liest und aus Bildungsgründen gerne einmal auf die Akropolis gereist wäre. Er ist ein kulturell desinteressierter Charmeur, der sich familiären Pflichten erfolgreich entzog und seine Freizeit bis heute am liebsten im akkurat ausgezirkelten Schrebergarten oder im Sportverein verbringt. Doch die beiden sind ein Paar, seit zweiundsechzig Jahren treu nach patriarchaler Konvention vereint. Nur der aufsässige und — nach Meinung der Eltern — missratene Sohn passte gar nicht ins Konzept dieses biederen deutsch-schweizerischen Lebens voller Ordnung, gebügelter Hemden und Pflichterfüllung. Seit seinem Fortgang sei ihr Leben friedlich, heißt es. Doch dann kommt der ungeratene Sohn aus der Ferne zurück und will ausgerechnet seine Eltern zum Stoff eines Filmes machen.

 

»Vaters Garten« ist dieser Film. Und er beginnt nach kurzer Einleitung gleich mit der vielleicht schwersten Frage: »Und, würdest du dir noch mal einen Sohn wählen, wie ich einer bin?« »Um Himmelswillen, das sind Fragen«, antwortet die Mutter, »... vielleicht schon einen einfacher Denkenden, du hast immer rebelliert«. Und das verstehen die Eltern bis heute ebenso wenig wie die meisten anderen Dinge in einer seit der eigenen Jugend komplett umgekrempelten Welt. Fremdheit kommt auch von Seiten des Filmemachers. Doch der 1951 geborene Peter Liechti (»Das Summen der Insekten«) wagt mit seinem Filmprojekt eine späte Annäherung, die Einblicke in eine Vergangenheit mit vielen Schatten gibt. Und neue Konflikte mitbringt.

 

Die eigenen Eltern sind populärer Filmstoff in dem Alter, wo junge Filmemacher selbst erste Kinder bekommen und noch nicht viel an Lebens- und Filmerfahrung aufzuweisen haben. Dabei gehört das familiär Naheliegende künstlerisch wohl zum Schwersten und wird auch nicht wirklich leichter, wenn man wie Liechti selbst schon über sechzig Jahre ist. Doch zumindest wächst die Bereitschaft zur Versöhnlichkeit. Der Humor auch. Und mit der Erfahrung reift der Mut zu künstlerisch radikalen Entscheidungen. Welcher Zwanzigjährige würde sich schon trauen, die eigenen Eltern und sich selbst als plüschige Hasenpuppen zu inszenieren? Liechti tut das und mischt zwischen beobachtende Episoden immer wieder Puppenspiel-Szenen, zu denen aus dem Off einzelne Sentenzen der Eltern eingesprochen werden. Das gibt diesen Aussagen Zeugniswert über das Individuelle hinaus. Und den Figuren über allen Schrecken hinaus eine überraschend zärtliche Note. Und dann gibt es noch eine großartige angejazzte Musik, die sich immer wieder als eine Art Autorenkommentar einmischt.