Klangfarben, die Geschichten erzählen

Im Januar findet die 9. Ausgabe des Ambientfestivals »Zivilisation der Liebe« statt. Veranstalter Dietmar Saxler geht es zunehmend klassischer an, wie er im Gespräch mitteilt

Das Festivalmotto »Alpha et Omega« symbolisiert einen sich schließenden Kreis. Wenn Elektronik auf Klassik trifft, schließt sich da für Dich der Kreis? Ja, denn das sind zwei in die gleiche Richtung denkende Arten Musik, die lediglich mit unterschiedlichen Medien arbeiten. Bei rein klassischen Momenten habe ich schon ganz ähnliche Momente erlebt wie in Clubnächten. Ein Gefühl der Verbundenheit sowohl innerhalb des Publikums wie mit dem Musiker. Insofern empfinde ich Klassik und Elektronik überhaupt nicht als Gegensätze. Wofür auch die gegenseitige Öffnung der beiden Bereiche zueinander spricht. Wenn Hendrik Schwarz einen Automaten entwickelt, bei dem durch programmier­te Elemente die Mechanik eines ­Pianos ausgelöst wird, ist das dann noch elektronisch oder ist das schon klassisch? Wo finden denn die musikalischen Gemeinsamkeiten von Elektronik und Klassik statt? Im Experiment. Im Ausprobieren von Ungewöhn­lichem, von extremen Kombinationen und Kontrasten. Die Grenzen verschwimmen heute immer mehr, viele klassisch ausgebildete Instrumentalisten sind auch im Clubkontext aktiv, spielen in Clubs oder sogar auf großen Raves.

 

In diesem Jahr gibt es bei Zivili­sation der Liebe eine Verteilung von ein Drittel Elektronik und zwei Drittel Klassik. Wie kommt es zu dieser Verteilung? Das hat sich einfach so ergeben. Bildet das ab, wie Dietmar Saxler Musik hört? Das lässt sich vermutlich kaum vermeiden, trotz aller Objektivität. Aber auch wenn ich versuche, mit der Auswahl der Musiker eine Geschichte zu erzählen, gibt es trotzdem Abende, die polarisieren. Wir erleben Auftritte, da sind die einen begeistern, die anderen verlassen den Saal. Alles kann passieren. Von zwölf Acts sind drei weiblich. Das klingt nicht viel, doch liegt Zivilisation der Liebe damit weit über dem Durchschnitt von knapp acht Frauen im Line-up interna­tio­naler Festivals für elektronische Musik, was eine Zählung von female:pressure, einem Netzwerk von Elektronik-Musikerinnen, ergeben hat. Hast Du gezielt auf den Frauenanteil geachtet? Von der Zählung von female:pressure habe ich gelesen. Ich finde auch, dass es an der Zeit ist, mehr Frauen zu hören. Bei mir persönlich kamen die Frauen direkt über die Musik, ich hab beispielsweise Poppy Ackroyd live gesehen und war hin und weg. Ich bin froh, dass es sich für Zivilisation der Liebe so ergeben hat, dass nun mehr Frauen spielen. Die geben der Sache klangfarblich sicherlich nochmal einen eigenen Anstrich. Mit der femininen Klangfarbe verbinde ich etwas Einfühlsames, weniger hart und »männlich«. Das kommt in musikalischen Zusammenhängen einfach zu kurz.

 

Auf Festivals habe ich erlebt, wie es immer wieder zu sinnstiftenden Momenten gekommen ist: Musiker machten spontan Musik zusammen, Freundschaften entstanden. Wie viel bekommst Du als Veranstalter von diesen Hintergrundgeschichten mit? Ich find‘s toll, wenn sich Zusammenkünfte ergeben. Bei Lubomyr ­Melnyk hab ich miterlebt, wie er die Leute von Erased Tapes auf dem Festival getroffen und danach ein Album für sie gemacht hat. So was kann man nicht planen, ich kann dafür nur die Rahmenbe­dingungen geben.