Hinter den Pforten des Deliriums

Eine Box mit dem Gesamtwerk der Progressive-Rock-Band »Yes« —

man kann, ja, man sollte das aushalten

Yes taugt nichts. Das behauptet fast einhellig die heutige Musikkritik. Ihr dient die Supergroup der 70er Jahre allenfalls als abschreckendes Beispiel: zu schnelle Taktwechsel, zu viele Töne, zu hoher konzeptueller Ehrgeiz. Die Komplexität dieses idealtypischen Progressive-Rocks, seine Opulenz — das wird als musikalische Geschwätzigkeit verachtet. So gibt es niemanden, der sich heute auf Yes bezöge und zugleich die popmusikalische Moderne verträte. Diese Band verkörpert die Antithese zum zeitgenössischen Cool, dessen höchste Auszeichnung es ist, »unprätentiös« genannt zu werden. Bei Yes ist alles prätentiös.  Diese Musik ist anstrengend und angestrengt, zwanghaft in ihrer Perfektion und beladen mit bedeutungsschwerer New-Age-Lyrik. Der Hausgrafiker der Band, Roger Dean, hat zahlreiche ihrer Plattenhüllen mit menschenleeren Fantasy-Landschaften bebildert. Das ist folgerichtig, denn man kann Yes als musikalische Weltflucht begreifen. Überhaupt, die Bilder, die von dieser Band kursieren: Sänger Jon Anderson, weiß gewandet mit Glace-Handschuhen, Rick Wakemann thront in Polyester-Hermelin in seiner Keyboard-Burg, an Bass, Schlagzeug und der Gitarre selbstverliebte Virtuosen, die scheinbar mehr gegen- als miteinander spielen. Es liegt nahe, Yes zu verachten. Aber dabei wird leider nur selten die Musik werkimmanent kritisiert. Wer sich jedoch einlässt auf die zwölf maßgeblichen LPs aus den Jahren 1969 bis 1987, die nun als jeweils aktuelle Remaster-Version in einer günstigen, leider auch lieblos ausgestatteten CD-Box ohne Booklet erschienen sind, kann ein musikalisches Abenteuer erleben.

 

Freilich eines ohne Happy End. Denn wie viele Bands des Progressiv-Rocks, waren Yes unfähig, zur Einfachheit zu finden, als die Mode sich unter dem Einfluss von Punk wandelte. Die Detailversessenheit springt spätestens mit »Going for the One« (1977) von der Komposition über zum Sounddesign. Tiefpunkt ist die späte Riff-Rocknummer »Owner of a Lonely Heart« (1983) auf der LP »90125«. Was damals eine Leistungsschau der Studiotechnik war (Steve Howe midifiziert seine E-Gitarre!), ist heute bloß nervenzehrend: Mittelmäßige Songs blähen sich zum banalen Bombast.

 

Aber all die Jahre zuvor! Das Debüt »Yes« (1969) und mehr noch »Time and a Word« (1970), klug und gewitzt teils mit Orchester arrangiert, sind eine pralle Wundertüte mit Andersons bis in die Alt-Lage changierendem Gesang, vollfettem Hammond-Sound und Chris Squires hyperaktivem Overdrive-Bass, der als Referenz für jede Punk-Produktion dienen sollte. Erst danach legen Yes ihre Kompositionen episch an und liefern mit »Fragile« (1971) und »Close to the Edge« (1972) Progressive-Rock-Meisterwerke ab. Auf »Tales of Topographic Oceans« (1973), vier Seiten mit vier schier endlos zerfaserten Stücken, verebbt dann jegliche Rock-Dramaturgie. Jon Anderson soll das Opus magnum mit Gitarrist Steve Howe bei Kerzenschein, vegetarischer Kost und buddhistischer Lektüre zusammenfabuliert haben. So klingt es dann auch. Weitgehend frei von jeglichem Elan, scheint die Band in ihrem Wolkenkuckusheim zu dämmern. Zuviel Kontemplation für den barocken Lebemann und Rotweinschlucker Richard Wakeman. Der klimpert 1973 erst mal ein Tributalbum auf Heinrich VIII. und dessen sechs gebeutelten Frauen zusammen und verabschiedet sich wie zuvor bereits Schlagzeuger Bill Bruford.

 

Doch die Bedeutung Wakemans und Brufords wird man nach der Gesamtschau abschwächen müssen. Ja, es ist erstaunlich, wie wenig bei dieser Musik von den Musikern abhängt. Auf »Relayer« (1974), sind Wakeman und Bruford nicht mehr vertreten, doch das Album enthält mit »Gates of Delirium« den besten Monumental-Track der Band, wenn nicht des Progressive Rocks überhaupt. Selten wirkte Stückwerk so organisch, selten ein 11/4-Takt derart selbstverständlich. Auch als sich Anderson und nach seiner Rückkehr erneut Wakeman 1980 im Streit zurückziehen, klingen Yes noch nach — wenngleich unfass­bar schlechten — Yes. Trevor Horn als Sänger und Geoff Downes an den Keyboards, beide damals als The Buggles (»Video Killed The Radio Star«) erfolgreich, kopieren mit den Verbliebenen die Yes-Ingredenzien zu einem nur noch matten Pastiche. Dennoch scheint es, als sei die Idee Yes größer als die Eitelkeit der jeweils Be­teiligten.

 

In Bezug auf das Spätwerk ist jede Kritik berechtigt. Wer Musik nicht bloß mit historischem Interesse, sondern mit Genuss hören möchte, wird das nicht aushalten. Und die letzten Platten sind gerade nicht so schlecht, dass sie schon wieder gut wären. Diese Musik eignet sich nie dazu, ironisch aufgenommen zu werden. Doch lässt man sich auf den heiligen Ernst dieser Platten ein, so wird man hinter den Pforten des Deliriums beides finden: sowohl das Schönste wie das Entsetzlichste, was musikalisch möglich ist. Immerhin etwas, das unpräten­tiöse Musik kaum bieten kann.