Investoren raus aus Knollendorf

Mit Intendantin Frauke Kemmerling dockt das Hänneschen-Theater an die Kölner Kulturszene an

Hinter der Bühne stehen die Kölner Kultfiguren schon bereit: der gutmütige Tünnes, der raffgierige Schäl und natürlich das Hännesche, der Held, der dem über zweihundert Jahre alten Puppentheater seinen Namen leiht.

 

Pünktlich zum Vorstellungs­beginn um halb Acht wird den Stockpuppen hinger d’r Britz Leben eingehaucht. Das geht in die Arme. Die bis zu fünf Kilo schweren Figuren haben nur eine Mimik. Ihr Charakter entsteht allein durch die Bewegung, auch wenn dieser in seinen Grundzügen festgelegt ist. »Damit die Figur zum echten Typen wird, muss jeder seinen eigenen Stil finden«, erklärt Puppenspielerin Ingrid von der Lohe, die nun nach zwanzig Jahren im Hänneschen in Rente geht.

 

Für die neue Intendantin Frauke Kemmerling war es nicht das einzige, das zu Beginn auf sie zukam, als sie letztes Jahr am 1. Dezember ihren Job in dem Zwei-Spartenhaus antrat. Gleich zwei Nachfolger musste die 45-Jährige finden, für die freche Oma »Zänkmanns Kätt« und den hinterlistigen Schäl. Neben von der Lohe verabschiedete sich auch Peter Ulrich in den Ruhestand. »Ein turbulenter Quereinstieg«, erklärt die Intendantin rückblickend. Mit einfachen Castings sei es im Hänneschen nicht getan. »Für die Auswahl ist, neben handwerklichen Talent und Bühnenpräsenz, die kölsche Sprache von entscheidender Bedeutung.« Denn die »Amtssprache« ist und bleibt auch unter Kemmerling?…?Kölsch.

 

Es war also keine leichte Suche. Gerade bei den jüngeren Genera­tionen ist authentische Mundart kaum noch existent. Es wird mehr ein Kölscher Akzent gesprochen. Nach einem monatelangen Auswahl-Prozedere hat die Intendantin nun von den über dreißig Bewerbern Katja Solange Wiesner und Georg Lenzen eingestellt. Die Schauspieler, beide in ihren Vier­zigern, kennt man aus der Theater- und Karnevalsszene. Solange Wies­ner ist Mitbegründerin und Präsidentin der Immisitzung, Lenzen spielt derzeit noch am Horizont-Theater den Bürgermeister in Yasmina Rezas »Ihre Vision des Spiels«.
Die beiden verjüngen das 14-köpfige Ensemble um ein bis zwei Jahrzehnte — auch ein erklärtes Ziel der neuen Intendanz. Das tut dem Theater, auch praktisch gesehen, gut. Nicht nur das Stockpuppenspiel bedeutet einen gehörigen Kraftaufwand, sondern auch die Umbauten auf der Bühne, die allesamt vom Ensemble selbst gestemmt werden. Täglich räumten sie etwa 16 Mal Requisiten herein und wieder heraus »Wobei die Herren da die Schweren übernehmen, dat es e janz schönes Jewusel«, erzählt von der Lohe an ihren letzten Tagen in der Puppenabteilung.

 

Vorbei an unzähligen Ersatzköpfen, Körpern und Kostümen, finden sich hier auch die Bläck Fööss — en Miniatur. Die Band steht neuerdings auch auf der Bühne. Aber nicht nur das. Gemeinsam mit dem Autor Udo Müller haben sie für die Abendschiene das Stück »Lück wie ich und Du« entwickelt, in dem Bläck Fööss Lieder in den Plot eingebunden sind. Ganz zeitgemäß geht es um Gentrification. Hausbesitzer Schäl will sein marodes Miets­haus abreißen lassen, um mit einem arabischen Investor einen profitablen Neubau durchzufechten: das SCHÄL-ARAB. Doch die Mie­ter wehren sich. Allen voran Hänneschen Knoll, dessen »eeschte Fründin«, eine Immobilienmaklerin vorschlägt, beim Stadtkonservatorium eine Denkmalschutzstellung zu erwirken. Fluchs wird die »Kaffeebud« im Erdgeschoß ein Treffpunkt, wo die Revolte gegen korrupte Gesellen keimt. »Anstoß für die Idee war das Gerangel um den Abriss des Kurienhauses am Roncalliplatz«, erzählt Autor, Regisseur und Tünnes-Spieler Udo Müller. Man merkt, unter Frauke Kemmerling werden Inhalte entstaubt. Die Stoffe werden aktuell angegangen.

Das Haus will so zukünftig nicht mehr nur als Puppenspiel für Kinder sondern als Volkstheater und vollwertiger Teil der Kölner Kulturszene wahrgenommen werden. »Mer sin un blieve en Kölsch Theater«, so Müller, aber neue Wege zum Publikum seien eben sehr wichtig, fügt er hinzu.


Doch auch in den Familienstücken weht ein deutlich frischer Wind. In »Böcherjeister« hantiert Hänneschen mit einem Ultra-iPad, während Bärbelchen sich lieber die Geschichten von Opa vorlesen lässt. Und während im Weihnachtsmärchen »Kreppche em Zoo« die Kinder gemeinsam die entlaufenen Pinguine (Seemänner im Frack) suchen, fliegt »dat Engelsche« schon längst mit GPS. Hier fällt ausserdem eine andere Neuerung auf. In dem Weihnachtsmärchen hat Kemmerling die Regie, die sie selbst übernommen hat, von der Autorschaft (Hans A. Birkhäuser) getrennt. Was im Sprechtheater üblich ist, ist hier ein Novum. »Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Ideen. Das bringt einfach mehr Farbe in die Welt des Hänneschen«, erklärt die Intendantin ihre Entscheidung.

 

Das Hänneschen läuft ganz sicher nicht Gefahr, radikales Regie­theater zu machen oder in Kämpfe um Werktreue und Interpretation einzusteigen. Doch Frauke Kemmerling schafft mit ihren kleinen Kniffen gleichzeitig Raum für Neues und beweist weiterhin das Kontinuierliche der Tradition. Das macht Lust auf mehr. Übrigens, »Leev Hänneschen Fründe, wat jit et för Neuigkeite«, heißt es seit kurzem auch auf Facebook.