Vom Basteln einer besseren Welt

Das Kölner Label Beau Travail veröffentlicht Randständiges auf Vinyl

Stücke auf Plattformen wie Soundcloud zu stellen und virtuell als Daten zu vermarkten, ist heute der schnellste Weg, seiner Musik Gehör zu verschaffen. Die Musikindustrie wankt weiter, CDs sind tot. Aber was ist mit der Schallplatte? Was mit den ehemals Indie genannten Labels? Man erinnere sich nur an die Unkenrufe in Zusammenhang mit MySpace. Im Gegensatz zu dieser Plattform leben die Phantome des materiellen Tonträgers und der Labelarbeit aber weiter.

 

In Mülheim ist das Label Beau Travail ansässig. In der Wohnküche eines Barockhäuschens unweit des Rheins sitzt Labelmacher Michael Zuckle und erzählt bei einem Gläschen Wein von Punk in der Provinz, finanziellen Verlusten und ideellen Gewinnen.

 

Nein, als Fanprojekt sei sein Label nicht gestartet. Definitiv: Nein. Zuckle muss nicht lange überlegen, auch wenn er ziemlich lange »Junge« hinterhergelaufen sei. Nein, das Material des Killerlady-Projektes von EA80-Sänger Martin Kircher alias Junge hätte er einfach spannend genug gefunden, um es zu veröffentlichen. Zuckle, Sonderpädagoge und Vater zweier Kinder, betreibt sein Plattenlabel mit viel Liebe zur Gestaltung seit 2009, vorher hat er in unzähligen Bands gespielt und für das zeitweise heiß diskutierte Fanzine Plot geschrieben. Ein Interview mit Junge in der schummrigen Pinte »Bei Joe« gegenüber vom Gebäude 9 gab den Anstoß, das Label zu gründen. »Ich hatte ihn schon mehrmals darauf angesprochen, wann er denn wieder was von seinem Solo-Zeug veröffentlicht«, erzählt Zuckle, »da hat er dann irgendwann gesagt: bring du das doch raus!« Gesagt, getan. Die erste Veröffentlichung auf Beau Travail: die Single »Minneapolis« von Killerlady. Ein Rumpelschlagzeugloop, eine kleine melancholische Keyboardfigur, eine lichte Wavegitarre und der dunkle Sprechgesang Kirchers, der vage an so großartige Crooner wie Steven Jesse Bernstein oder den frühen Louie Austen erinnert: ein kleiner, aber veritabler Hit für die frühen Morgenstunden, wenn die Nacht einem noch tief in den Knochen steckt. Und das wirklich Bemerkenswerte: wenn einem der bierernste Pathos der Lieblingsband aller »Frustköppe« (Zitat Nico, Schlagzeuger von EA80) immer schon sachte auf den Zeiger ging, hier in seinem Kunstprojekt hat sich Kircher offenbar einen Freiraum geschaffen, in dem Ironie und Humor einen Platz haben. Wenn er mit reichlich bescheuerter Eisenmaske auftritt und genau abgezirkelte Choreografien auf der Bühne vollzieht, ist das ganz großes absurdes Theater.

 

Auf diese erste Veröffentlichung folgten nach einer experimentellen Splitsingle mit Kirchers janusköpfigen Projekt und der Krefelder Grindpunk-Legende Japanische Kampfhörspiele Aufnahmen sehr unterschiedlicher Art: etwa ein Album der mittlerweile aufgelösten Würzburger Band The Falcon Five, die mit ihrem druckvollen Emocore mit Postpunk- und Mathrockanleihen zu Unrecht in der Versenkung verschwanden. Oder eine LP der Noise­rock-Band Buck Gooter aus Harrisonburg, Virginia, USA, die von Henry ­Rollins unlängst zum Geheimtipp geadelt wurde und deren Mix aus Big-Black-artigen Beats und Swans-mäßigen Gitarrenwänden vor allem durch die erfrischende Besetzung — alter Sack und Jungspund — Spaß macht. Oder das erste Album der Kölner Punkband mit dem klingenden Namen Die Schwulen Nuttenbullen, bei der Zuckle selbst seine Finger mit im Spiel hat. SNB (so die (un-) verdächtige Abkürzung) ist allerdings bei weitem nicht so übel, wie man bei dem Namen befürchtet, Vergleiche mit Tommi Stumpfs KFC laufen ins Leere. SNB ist eher engagierter, an amerikanischer Melodik geschulter Deutschpunk, einfach und direkt zwar, aber lange nicht dreckig und asozial. Eine besonders schöne Veröffentlichung auf Beau Travail ist ein Tape-Reissue der westfälischen Indie-Noise-Pop-Band Garp von 1996, da können so einige zeitgenössische Sonic-Youth-Epigonen einpacken.

 

Zuckles musikalische Sozialisation lässt sich an dieser Labelpolitik gut ablesen, von Deutschpunk über Noise bis zum amerikanischen Postcore reicht das hörbare Spektrum, er spricht aber auch gerne von Bob Dylan und Prefab Sprout als wichtigen Einflüssen. Von Bad Salzuflen, diesem Nest in der Tiefe der ostwestfälischen Provinz, aus dem so viele maßgebliche Popmenschen (siehe Fast Weltweit/Hamburger Schule) in die Welt starteten und in dem Zuckle 1974 geboren wurde, zog er Mitte der Neunziger nicht an die Elbe, aber an den Rhein. Und spielte dort zusammen mit seiner heutigen Frau in einer Ausnahmeband: Minor Mountaineer war eine kongeniale Mischung aus dem frühen Saddle Creek-Sound und dem Postrock vom Schlage Karate, besonders das erste Album »Apollo Songs« (Unter Schafen Records) gilt unter Eingeweihten als Meilenstein der jüngeren rheinischen Popmusikgeschichte.

 

Dass er mit seinem Label bisher einiges an Geld verloren hat, hindert Zuckle nicht daran weiterzumachen. Ein Idealismus, dem man Respekt zollen muss. Beau Travail veröffentlicht Randständiges, das sonst im reißenden Mahlstrom Internet verloren ginge. Das Internet mag ein riesiges Archiv sein, die dort generierte Aufmerksamkeit läuft aber mittlerweile gegen Null. Und bei den bisherigen Veröffentlichungen wäre es wirklich sehr schade gewesen, hätte man sie nie zu Gehör bekommen.

 

Auf Beau Travail ist zuletzt die erste Killerlady-LP erschienen. Kirchers Spagat zwischen dem Dilletantismus früher Krachbands und seinen unbestreitbaren Croonerqualitäten geht auf. Man sollte schnell zugreifen, sonst grabbeln die EA80-Diehard-Fans flugs die Platte weg und handeln sie später dann für Unsummen auf Ebay. Sammeln kann man MP3s übrigens auch nicht sonderlich gut.