Alles ist vorbestimmt

Und noch ein Skandalfilm: Lars von Trier präsentiert mit Nymph()maniac Teil 1 seinen lange angekündigten Porno — er passt in sein Weltbild

Gezeigt wird das Leben einer Frau namens Joe, beginnend in der Kindheit, endend in ihren Vierzigern. Joe erzählt es einem Unbekannten namens Seligman, der sie aufgelesen hat vor seinem Haus, wo sie ohnmächtig geprügelt im Regen lag. Joe sagt, sie sei Nymphomanin. Eine, die alles, was man mit seinem Körper machen kann, gemacht habe, und die von sich behauptet, das Böse selbst zu verkörpern. Der hoch gebildete Jude Seligman definiert sich hingegen als asexuell.

 

In Lars von Triers »Nymph()-maniac« gibt es keine Tabus, keine Sprach- oder Bilderzäune, alles kann gesagt und gezeigt werden. Wobei aber die Anstößigkeiten so erzählt werden, dass sie immer nur Möglichkeiten dar­stellen — Gedankenspielereien, Projektionen.

 

Lars von Trier kotzt sich in gewisser Hinsicht aus: Durch Joe kommt alles auf den Tisch, wofür man den Regisseur in den vergangenen Jahren wiederholt und durchaus zu Recht angegangen ist. Den Höhepunkt stellte 2011 sein Cannes-Skandal dar, als sich der Däne halb trotzig, halb ironisch auf einer Pressekonferenz als Nazi bezeichnete und sich die Festivalleitung anschließend veranlasst sah, ihn der Veranstaltung zu verweisen.

 

Aber schon seit 1991, als von Triers »Europa« in die Kinos kam, wundern sich immer mehr über das Verhältnis des Filmemachers zum Faschismus im Allgemeinen und dem Nazismus im Besonderen. Und so geht es in »Nymph()-maniac« auch darum, was man auf welche Weise zu solch »heiklen« politischen Themen sagen kann beziehungsweise darf. Von Trier wird spätestens seit »Breaking the Waves« (1996) Misogynie vorgeworfen, also geht es in »Nymph()maniac« darum, wie Frauen sind beziehungsweise zu sein haben und wie deren Sexualität vom Standpunkt eines angenommenen gesellschaftlichen Kompromisses aus »zu konzeptionieren« sei.

 

Lars von Trier ist ein spätes Paradebeispiel für einen reaktionären Modernisten — eine Mischung aus dem Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline und dem Filmemacher Andrej Tarkowski, dem nicht zu­fällig in »Nymph()maniac« ausgiebig gehuldigt wird. In Seligmans Kamenate hängt die Kopie einer Ikone im Stil Andrei Rubljows, jenes Malers, dessen Leben ­Tarkowski verfilmte. Und wenn ­im Film über Bachs Choralvor­­spiel »Ich rufe zu Dir, Herr Jesu Christ« diskutiert wird, verweist dies auf die Musik in Tarkowskis »Solaris« (1972).
Es geht in »Nymph()maniac« also auch um Diskurse, und daher hat der Film auch die passende Form: Zwei Menschen reden. Joe erinnert sich, gut möglich, dass sie auch fabuliert oder manche Anekdote ausschmückt, und Seligman erklärt, interpretiert, zeigt unterbewusste Allegorisierungen und Parallelen zu Kunst und Geistesgeschichte des Abendlandes auf. Jedes Detail hat hier seinen Grund und Platz, auch die scheinbaren Abschweifungen und Auslassungen, von denen man ausgehen kann, dass sie später noch gefüllt werden — denn im Februar läuft zunächst nur der erste Teil der gekürzten vierstündigen Film­fassung an, eine Langfassung wird folgen.

 

Formal erinnert »Nymph()-maniac« daher an den klassischen bürgerlichen Roman, in dem die Erzählung immer wieder durch Exkurse und retardierende Momente unterbrochen wird, die die Handlung nicht vorantreiben. Der Zusammenhang zwischen erzählerischen und erotischen Abschweifungen wird gleich im ersten Film-Kapitel deutlich, wenn Seligman mit literarischen Verweisen gespickt vom Fliegenfischen erzählt. Ein Prinzip, das im Film immer wieder benutzt wird.

 

Von Trier zeigt so zwar, dass im öffentlichen Diskurs alles möglich sein muss — verbindet damit aber keine Idee von Veränderung, weder im Negativen noch im Positiven. Das Einzige, was sich hier immer stärker differenziert — »entwickelt« wäre wegen der deterministischen Haltung des Films nicht das richtige Wort —, ist Joes Sexualität, der scheinbar nichts fremd ist. Wobei auch hier hier die »Auslassungen« interessant sind: Joes Interesse am Gleichgeschlechtlichen beschränkt sich auf ihre »Adoptiv«-Tochter — eine Minderjährigen, derer sie sich annimmt.

 

Am Ende hat der Jude Seligman seine Schuldigkeit getan, die göttlich-satanische Natur gesiegt. Alles wurde erklärt, aber nur um zu zeigen, dass alles ohnehin schon einmal gesagt und gedacht wurde, und dass es nichts geholfen hat — eben weil alles vorbestimmt ist. Wenn man an die Veränderbarkeit des Menschen glaubt, dann ist das eine widerliche antiaufklärerische Sicht auf die Welt.