Im Internet hat sich längst eine eigene Szene etabliert, mit Millionen Zuschauern, die es nicht gewohnt sind, sich an Vorgaben von Sendern zu halten | Illustration: Sandra Renz unter Verwendung der Abbildung von Rotkaeppchen68 at de.wikipedia

Kanal Nummer 4 sendet nicht mehr

Schlechte Nachrichten für die Kölner TV-Sender: Gegen die Konkurrenz aus dem Internet haben sie kaum noch eine Chance

An der Mediendiskussion der vergangenen Jahre ist etwas verwunderlich: dass Verlage die Opfer der digitalen Revolution sein sollen. Dabei waren die Inhalte von Magazinen und Zeitungen doch eigentlich von Anfang an für das Internet optimiert – Texte ließen sich schon vor 20 Jahren einfach online stellen, Fotos spätestens, ­seitdem die Band­breiten der Internetverbindungen zur Jahrtausendwende ausreichend groß geworden waren. Und auch, wie Magazine und Zeitungen genutzt wurden, entsprach schon dem, was heute online üblich ist: Viele beginnen die ­Zeitungslektüre mit dem Sportteil oder lesen Magazine von hinten nach vorn.

 

Nur ein Medium entzog sich diesem intuitiven Ge­­brauch und zwang seine Nutzer zur Linearität: das Fernsehen. Lange Zeit schrieben die Sender ihren Zuschauern vor, wann sie was zu gucken hatten. Es gab zwar Video­rekorder, aber Sendungen aufzuzeichnen war nicht einfach und eher etwas für Sammler. Kaum jemand nahm um 20.15 Uhr etwas auf, um es dann ein paar Stunden später zu sehen und anschließend die Aufnahme wieder zu löschen. Das änderte sich erst 2004 mit der Einführung von DVBT. Nun konnte man, vor allem mit einem entsprechenden Stick am Computer, Sendungen mit einem Klick aufnehmen, später abspielen, archivieren oder löschen. Heute gibt es diesen Service von nahezu jedem Kabelbetreiber, und auch zahlreiche Fernseher bieten dieses Feature an. Wann sie was zu schauen haben, lassen sich deshalb immer weniger Menschen von den Sendern vorschreiben – und die haben längst mit dem Angebot mehr oder weniger guter Mediatheken darauf reagiert.

 

Doch das führt auch zu einem Problem für die Sender. Der Maßstab des Erfolgs ist die Quote – bei den Privatsendern hängen die Werbeeinnahmen davon ab, und die öffentlich-rechtlichen Sender brauchen die Reichweite, um ihre Zwangsfinanzierung durch Gebühren zu recht­fertigen. Und das dringender als je zuvor: Nur noch 15 Prozent ihrer Zuschauer sind unter 30 Jahren. ARD und ZDF sterben die Zuschauer weg.

 

Doch die traditionellen Zählmechanismen, die die Quote ermitteln, greifen nicht bei den Mediatheken, und bei Kanälen wie Youtube und Facebook schon gar nicht. Die 4,1 Milliarden Euro an Werbegeldern, die an der Quote hängen, werden zunehmend ins Internet wandern. Dort schauen schon 23 Millionen vor allem jüngere Zuschauer Videos auf Youtube oder über Facebook. Dazu kommen jene Millionen, die den Fernseher vor allem nutzen, um Filme und hochwertige Serien wie »Breaking Bad« und »Game of Thrones« zu schauen: Die werden als DVD gekauft, von Portalen wie iTunes heruntergeladen oder illegal über Streaming-Sites konsumiert, die sich durch Werbung finanzieren.

 

Für RTL und den WDR sind das schlechte Nachrichten. Mehr als 8000 Menschen arbeiten in Köln nach Angaben der Agentur für Arbeit im TV-Bereich – die meisten bei freien Produktionsfirmen, die den Sendern zuarbeiten. Beim WDR kann man sich — dank der Gebührengelder – entspannt zurücklehnen. Für RTL aber kann die Online-Entwicklung riskant werden. Der Sender muss sich darauf einrichten, in den kommenden Jahren gegen eine Überalterung des Publikums und einen Rückgang der Werbeeinnahmen ankämpfen zu müssen. Denn Zuschauer, die einmal online sind, werden kaum mehr zu traditionellen Sendern zurückkehren. Im Internet hat sich längst eine eigene Szene etabliert, mit Millionen Zuschauern, die es nicht gewohnt sind, sich an Vorgaben von Sendern zu halten.

 

Kölner Produktionsfirmen wie Gesamtkunstwerk, die längst nicht mehr nur für TV-Sender arbeiten, sondern Ihre Produktionen auch als App oder vie Youtube verbreiten, bedienen diese neue Szene. Der Krimi »The Day It Rains Forever« wurde von Gesamtkunstwerk produziert und selbst vermarktet. Wollen Auftraggeber wie die NRW-Landesregierung Jugendliche erreichen, setzt man bei Gesamtkunstwerk ohnehin auf das Internet: »Die Zielgruppe ist sowieso auf Facebook und Youtube – also gehen wir da auch hin«, heißt es dort.

 

Online sind natürlich auch schon der WDR und RTL. IP-Deutschland, eine hundertprozentige Tochter von RTL, vermarktet neben dem Sender auch die Online-Angebote der Mediengruppe. Neben rtl.de sind das ganz eigene Dienste wie sport.de und wer-kennt-wen.de. Allerdings verlangt IP-Deutschland dort nahezu absurd hohe Preise: Um tausend RTL-Zuschauer im TV zu erreichen, muss ein Werbekunde 13,80 Euro ausgeben. Will er tausend Werbekunden auf rtl.de erreichen, kostet ihn das 20 Euro. Bei Google erhalten Werbetreibende die gleiche Reichweite für einen bis neun Euro – und Google hat keine Ausgaben für die Inhalte, der Konzern bindet die Werbung nur im entsprechenden Umfeld ein. RTL führt einen Kampf, den der Sender nicht gewinnen kann. Der Ballast, den RTL mittragen muss ist zu groß – schlank wirkt RTL mit seinen 500 Festangestellten in der Zentrale nur im Vergleich zum WDR, der allein in der Verwaltung 741 und in seiner Leitung 172 Mitarbeiter beschäftigt.

 

Da sind die neuen Anbieter nicht nur kleiner, sondern auch schneller: Firmen wie Gesamtkunstwerk, Mediakraft, die hinter der Youtube-Comedy »Y-Titty« stehen oder der Berliner LeFloid erreichen Millionen Zuschauer über Youtube und brauchen dafür weder eine Sendelizenz noch einen großen Apparat. Und zumindest die Stars der Szene erreichen mittlerweile fünfstellige Umsätze im Monat. Die Macher von »Y-Titty« berichten jedenfalls von einem Einkommen, das den »besseren Gehältern im klassischen Mediengeschäft« entspricht. Und Mediakraft, dessen Sendezentrum sich in Köln befindet, behauptet: »Wir sind der größte Online-TV-Sender in Mitteleuropa!« Vielleicht sind sie auch ein Teil der Zukunft des Medienstandorts Köln.

 

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland die klassischen TV-Sender sogar bei ihren prestigeträch­tigen Großproduktionen die Konkurrenz aus dem Netz fürchten müssen. Mit »House of Cards« gelang dem Streaming-Anbieter Netflix 2013 ein Erfolg, der sogar mit dem TV-Preis Emmy prämiert wurde. Netflix stellte alle Folgen der Serie mit Kevin Spacey auf einen Schlag online — und der Politthriller, der sich mit aufwendigen HBO-Produktionen wie »The Sopranos« und »Game of Thrones« messen kann, erreichte sein Publikum. Für Hauptdarsteller Spacey war der Erfolg von »House of Cards« ein Paradigmenwechsel:  »Für die Kinder, die heute aufwachsen, macht es keinen Unterschied, ob sie ›Avatar‹ auf ihrem iPad gucken oder Youtube auf dem Fernseher oder ›Game of Thrones‹ auf ihrem Computer. Es geht um die Inhalte.

 

Es geht um die Geschichten.« Für Kreative sind das gute Nachrichten. Für die Verwalter in den Sendern nicht.