Freiraum statt zweite Liga

In der Freien Szene zu arbeiten, ist für viele Kölner Theatermacher

keine Notlösung, sondern eine bewusste Entscheidung

Die Freie Theaterszene sehen nicht wenige als zweite Liga an. Ein freundlicher Begriff für all die Übriggebliebenen und jene, die sonst nirgends untergekommen sind. Die, welche am Stadttheater gescheitert sind, aber dennoch irgendwie ihren Platz in der Kunst finden. 

 

Jedoch steht bei vielen Theatermachern hinter der »freien Arbeit«  eine bewusste Entscheidung. Florian Malzacher, der neue künstlerische Leiter der überregionalen »Impulse Theater Biennale« definiert »Freies Theater« sogar als Sparte mit einer eigenen Ästhetik und Arbeitsweise. Oft seien hier wegen der unterschiedlich zusammengesetzten Finanzierung künstlerische Grenzen durchlässiger. Die städtischen Institutionen hingegen sind durch die Subventionen an einen Kulturauftrag gebunden, der allzu große Experimentierfreude mitunter verhindert, weil eine möglichst große Zielgruppe bedient werden soll. Bekanntlich ist das Theaterhaus Jena die einzige städtische Bühne in Deutschland, dessen Leistungsauftrag experimentelles Arbeiten heißt. 

 

Die Theaterwelt eint jedoch, dass kaum jemand langfristig ohne Geld von Stadt, Land oder Stiftungen bestehen kann. Marko Berger, seit zwei Jahren Leiter des Orangerie-Theaters im Volksgarten, kennt diese Zwänge. Als ehemaliger Analyst für Risikoprozesse bei einer Bank kam er in den 90er Jahren dann über die Kleinkunst zum Theater. Berger absolvierte eine private Schauspielausbildung, leitete mehrere Jahre lang eine Kleinkunstbühne und beriet freie Ensembles sowie kleinere Bühnen. Er weiß, wie wichtig Ökonomie für die Theater ist — und auch, dass viele das nicht hören wollen: »Das scheint gelegentlich ein Tabuthema zu sein, wenn man mit den Machern spricht. Dennoch lasse ich mich nicht davon abbringen, es zu thematisieren. Ich habe einen langen Atem, aber die Produktionen müssen irgendwann vom Publikum angenommen werden«. Trotz dieser Zwänge bedeutet für Berger »Freie Szene« eine Entscheidung für einen bestimmten Weg — wenn auch nicht in eine bessere Welt. 

 

Unter denen, die sich in der Kölner Freien Szene tummeln, finden sich vom gelernten Bankkaufmann wie Marko Berger bis zum Bildenden Künstler alle erdenklichen Biografien, deren gegenseitige Inspiration sich positiv auf die Ergebnisse der künstlerischen Arbeit auswirkt. Nicht selten ist dabei auch die Lebenserfahrung bedeutend. Und am Anfang des Weges steht bei vielen eine bewusste Entscheidung. 

 

Regisseur und Schauspieler Janosch Roloff wollte nach dem Abitur gern »etwas mit Theater machen«. Beim Durchblättern des Kölner Telefonbuchs stieß der heute 30-Jährige auf ein Theater, dessen Name ihm sympathisch erschien. Er rief an, um nach einem Praktikum zu fragen. Geld gab es keines, aber Roloff hatte einen Einstieg gefunden. Bald wurde er Regieassistent, arbeitete als Kassierer, Flyer-Verteiler und Lichttechniker, bis er schließlich eine Ausbildung an einer privaten Schauspielschule begann. Währenddessen schloss er sich dem Nö-Theater an, das damals noch ein semi-profesionelles Studenten-Ensemble war. Roloffs erste Regiearbeit, das Kriegsmärchen »Weiße Rose« von Lars Zastrow, wurde 2009 für den Kölner Theaterpreis und den Kurt-Hackenberg-Preis nominiert. Mit »V wie Verfassungsschutz« räumte Roloff vorletztes Jahr dann beide Preise ab. Mittlerweile hat der Jungregisseur sein Diplom in der Tasche. Dennoch übten Staats- und Landestheater keinen großen Reiz auf ihn aus, sagt er. Er vermutet, die dort herrschenden Hierarchien passten nicht zu seiner Arbeitsweise. 

 

Aber auch wer umgekehrt von einem städtischen Betrieb einen Abstecher in die Freie Szene macht, kann die Strukturen dort ungewöhnlich finden. Das berichtet etwa Regisseurin und Schauspielerin Christina Vayhinger, die seit zehn Jahren mit ihrem »Theater 1000 Hertz« in der Kölner Szene mitmischt. Sie sagt, bei ihrer Arbeit mit Schauspielern vom Stadttheater habe sie immer wieder hinderliche Angst vor Machtgefällen und Hierarchien feststellen können, die oft erst nach einer Weile gewichen seien. Gewohnte Pfade zu verlassen und sich in anderen Strukturen zurechtzufinden, fällt manchen eben nicht leicht. 

 

Mittlerweile ist die Entscheidung, frei zu arbeiten, eine grundlegende. Schon zu Beginn können die späteren Berufschancen desillusionierend wirken. Für die Kölnerin Jennifer Merten, die gerade mit ihrer Schauspielausbildung Bergfest feierte, geht es jedoch nicht um die Entscheidung für oder gegen einen Theaterbetrieb. Sie will vielmehr den Freiraum haben, eigene Stücke zu schreiben, selbst zu inszenieren und zu spielen. Am liebsten würde Merten sich auch um die Beleuchtung kümmern, Karten abreißen und den Wein ausschenken. Deshalb sieht sich die 24-Jährige nicht in einem etablierten Betrieb: »Da bist du erst mal nur ausführendes Organ, eine kleine Spielfigur mit ein bisschen mehr Budget.« Seit kurzem arbeitet die Elevin an ihrem ersten eigenen Stück.