Wenn Gott schweigt

Familiendrama: Le passé von Asghar Farhadi

Vier Jahre nach seiner Trennung kehrt Ahmad aus dem Iran zurück nach Paris, um die Scheidung von Marie endgültig zu machen. Im Haus sind die beiden Töchter
aus einer früheren Ehe sowie der Sohn von Maries neuem Partner Samir, von dem sie ein Kind erwartet. Samirs Frau Celine liegt infolge eines Selbstmordversuchs im Koma. 

 

Eine schwierige Konstellation, aus der Ahmad sich eigentlich heraushalten möchte, in die er aber immer tiefer hineingezogen wird: Unerbittlich wirkt das Vergangene in die Gegenwart hinein und hält alle in Bann. Kindern wie Erwachsenen geht es darum, Schuldige und Verantwortliche zu benennen — für das Misslingen der Ehe (und eventuell auch der Scheidung), für den Suizidversuch von Celine, der vielleicht durch die Intrige einer der handelnden Figuren ausge--löst wurde.

 

Für »Nader und Simin — eine Scheidung« wurde Asghar Farhadi 2012 mit einem Oscar, dem Goldenen Bären und einem Caesar ausgezeichnet; jetzt, bei seinem ersten im Ausland gedrehten Film, stellt sich natürlich die Frage, ob er das Niveau halten kann. Denn allzu häufig verabschieden sich iranische Filmemacher, die der Islamischen Republik aufgrund der strapaziösen Produktionsbedingungen den Rücken kehren, in die Belanglosigkeit.

 

Während der Chronist eines krisengeschüttelten Mittelstandes im Iran mit jedem seiner bislang fünf Filme neue Akzente setzte, orientiert sich Farhadis sechster in Ton und Thema vergleichsweise deutlich am Vorgänger. Erneut greifen die Dialoge unerbittlich ineinander, wird dabei jeder Schritt, jede Wahl des anderen genau befragt, erneut sind die -Charaktere bis in die Nebenfiguren mit all ihren Ambivalenzen genau gezeichnet. War »Nader und Simin« allerdings mit der handkamera gefilmt und rasant montiert, so findet die ruhigere Kamera bei »Le passé« wunderbare Kompositionen für die Melancholie, die Rückwärtsgewandtheit der Figuren. Bérénice Bejo, die als Marie zwischen Samir, ihrem Ex-Mann Ahmad und ihrer trotzigen Teenie-Tochter keinen Ruhepunkt findet, erhielt in Cannes den Darstellerpreis. Während der passiv-gütige Ahmad Distanz sucht, gehen die Impulse von den Frauen aus — und bergen ein zerstörerisches Moment.

 

Ohne die unmittelbare politische Anbindung seiner Vorgänger, rückt »Le passé« in die Nähe antiker Dramen, deren Handelnde ihrem »Ge--schick« entgegensteuern. Farhadis Figuren — zum Lieben bereite, aber einander verfehlende Menschen —
mühen sich um eine Auflösung oder Erklärung, die zu groß für sie ist. Das erinnert nicht zuletzt auch an das Schweigen Gottes in den Filmen Ingmar Bergmans. Letzte Wahrheiten sind bis in die letzte Einstellung nicht zu haben.