Chriatian Meier-Oehlke, Bernd Wilberg

Punktsieg der Plumpheit

Ja, doch. Man trinkt Wein, damit man einen Schwips bekommt. Aber im besten Fall, springt mehr dabei herum: Wer Supermarkt-Plörren meidet, kann erstaunliche Geschmackserlebnisse machen. Dennoch haftet dem Weinwissen etwas Esoterisches an. Für viele gilt deshalb, was Max Goldt so formulierte: »Wein ist das, was man trinkt, wenn das Bier alle ist.«

 

Wer sich dennoch für Wein interessiert, für den mag das 100-Punkte-Be-wertungssystem des US-Amerikaners Robert Parker als Kompass dienen. Freilich um den Preis, sich einer Expertise auszuliefern, der man zu Recht eine unanständige Vorliebe für kräftige, überkonzentrierte Weine vorwirft. Parkers Favoriten, so Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza, seien daher »für den menschlichen Verzehr ungeeignet«. 

 

Und trotzdem hat sich das, was in den 70er Jahren als kleiner Weinratgeber begann, zu einem mächtigen Instrument entwickelt, das die Preisentwicklung ganzer Jahrgänge steuert, vor allem in den prestigeträchtigen Regionen Bordeaux und Burgund. Exemplarisch gilt das  für einen geradezu mythischen Wein aus der Neuen Welt. Gleich den ersten Jahrgang des kalifornischen Screaming Eagle -bewertete Parker 1995 verschwenderisch mit 99 Punkten. Seitdem explodieren die Preise.

 

So notorisch Parker mittlerweile in der Fachwelt ist, so beliebt ist er im mittleren Preissegment. Nun tauchen seine Bewertungen vermehrt auf Kölner Weinkarten auf. In Weinregionen wäre das lächerlich. In einem Wirtshaus in Baden interessiert es die Gäste nicht, was wohl Parkers Marketing-Maschine vom lokalen Grauburgunder hält. Gastronomen stellen mit dem Verweis auf Parker letztlich ihr Desinteresse an Wein aus. Wie schmecken wohl 91 Punkte? Und passen sie zum Kalbskotelett?

 

Besser wäre es, brächte der Service selbst Leidenschaft für Wein auf und spendierte häufiger ein Probierschlückchen. Dann könnte man zweierlei erfahren: dass es abseits des Mainstreams vieles zu entdecken gibt, und zwar zu sozialverträglichen Preisen. Und dass es kein hinreichender Beleg für guten Wein ist, wenn er krachend nach Eiche, Vanille oder dunkler Marmelade schmeckt. Überhaupt: Man kann nicht nur mit Industrienahrung, sondern auch mit überproduzierten Rotweinen seinen Geschmacksinn ruinieren.